Zehntausende Patientinnen und Patienten in Deutschland könnten von mehr Qualität bei Hüft-, Knie- und Herzoperationen profitieren und vor Gelegenheitschirurgie bewahrt werden. Dabei müssten sie nur geringfügig längere Fahrzeiten zur Klinik in Kauf nehmen. Das geht aus dem aktuellen Krankenhausreport der Barmer hervor. Darin wurde für fünf Prozent der Hüft- und Knieoperationen sowie für drei Prozent der Herzinfarkteingriffe geprüft, ob sie sich von Standorten mit der geringsten Routine an Kliniken mit höheren Fallzahlen verlagern lassen. Ein Gespräch dazu mit Heike Sander, der Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen:
Frau Sander, in Ihrem Krankenhausreport geht es um mehr Qualität bei Hüft-, Knie- und Herzoperationen. Was ist denn die erste Erkenntnis?
Heike Sander: In unserem aktuellen Krankenhausreport wurden für rund 1.900 der niedersächsischen Hüft- und Knieoperationen sowie für über 1.200 der Herzinfarkteingriffe geprüft, ob sie von Standorten mit der geringsten Routine hin zu Kliniken mit höheren Fallzahlen verlagern lassen. Dort haben die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal in der Regel eine höhere Expertise. Bereits bei diesen niedrigen Schwellenwerten ließen sich in Niedersachsen rund 1.100 Hüft- und Knieeingriffe von elf Standorten mit unter 187 Eingriffen pro Jahr verlagern, ohne dass maßgeblich längere Anfahrtswege entstünden. Bei sieben Kliniken wäre dies nicht möglich.
Was können Sie zu anderen Operationen sagen, beispielsweise den Herzoperationen?
Heike Sander: Hinsichtlich der Eingriffe am Herzen ließen sich in Niedersachsen 870 Eingriffe von elf Krankenhäusern, die weniger als 186 Eingriffe jährlich vornehmen, ohne spürbar längere Anreisen verlagern. Bei zehn Kliniken wäre dies nicht machbar. Durch höhere Schwellenwerte könnten sogar noch deutlich mehr Eingriffe an Kliniken mit mehr Expertise erfolgen, ohne dass die Erreichbarkeit darunter leide.
Nun steht das Land vor einer Reform der Krankenhausversorgung, welche Auswirkungen hat das?
Heike Sander: Auch vor der angestrebten Reform der Krankenhausversorgung können bereits heute durch die konsequente Verlagerung von Operationen in Kliniken mit mehr Erfahrung und besserer Ausstattung Qualität und Patientensicherheit deutlich erhöht werden. Diese Potenziale gilt es jetzt im Sinne der Patienten konsequent zu heben. Mit einer tiefgreifenden Reform der Krankenhausversorgung samt Neuausrichtung der Krankenhausplanung wären darüber hinaus systematische bedarfs- und qualitäts-orientierte Konzentrationsprozesse im Sinne der Patienten umsetzbar. Eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausplanung darf sich nicht an der Zahl der Betten orientieren, sondern an Qualitätsparametern im Sinne der Patientensicherheit.
Moderne und bedarfsgerechte Krankenhausplanung, was hat das für Auswirkungen auf Fahrzeiten zum Krankenhaus und Qualität der OP?
Heike Sander: Immer noch gibt es in Niedersachsen viele Kliniken, die in einzelnen Leistungssegmenten nur sehr wenige Behandlungen pro Jahr durchführten. Exemplarisch wurden im aktuellen Krankenhausreport zwei Bereiche analysiert, nämlich die Endoprothetik und Osteosynthese an Knie und Hüfte sowie die Kardiologie und Kardiochirurgie zur Behandlung des Herzinfarkts. Für die Berechnungen sind Eingriffe hypothetisch aus den Krankenhäusern mit wenigen Fallzahlen in solche mit höheren Fallzahlen verlagert worden. Im Anschluss haben die Autoren des Reports die Fahrzeiten der Patienten bestimmt. Die Verlagerung von Operationen hat nur einen geringfügigen Einfluss auf die Fahrzeiten. Dem stehen erwartbare Qualitätssteigerungen in der Behandlung gegenüber. Wo immer eine Verlagerung möglich ist, sollte sie daher erfolgen. Unsere Berechnungen haben dabei berücksichtigt, dass sich die Fahrzeit für niemanden auf über 40 Minuten erhöht.
Was erwarten Sie von den Krankenhäusern?
Heike Sander: Wir wissen ja: Mehr Behandlungserfahrung führt zu besseren Behandlungsergebnissen. Krankenhäuser sollten daher unterschiedliche Behandlungsschwerpunkte bilden und Behandlungen, in denen sie nur geringe Fallzahlen aufweisen, nicht länger durchführen. Das ärztliche und pflegerische Personal ist damit beispielsweise besser auf auftretende Komplikationen vorbereitet, und ganze Operationsteams oder Fachabteilungen könnten durch Erfahrungsgewinn ihre Strukturen anpassen, Versorgungsprozesse verbessern und somit bessere Behandlungsergebnisse erzielen. Die Verlagerung von Eingriffen an diese Standorte wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Versorgungsqualität. Dabei versteht die Barmer ihren Krankenhausreport als einen Impuls für weiterführende Diskussionen über den Konzentrations- und Spezialisierungsprozess im stationären Sektor. Die Qualität der Behandlung und damit die bestmögliche Versorgung der Patientinnen und Patienten muss stets im Mittelpunkt stehen. Der Report belegt, dass die Konzentration von Leistungen und damit eine Erhöhung der Behandlungsqualität problemlos möglich ist. Die Abkehr vom Bett als Planungsgröße hin zu einer Planungssystematik, eingeteilt in Leistungsbereiche und diesen zugeordneten Leistungsgruppen, steht im Mittelpunkt. Zukünftig darf nicht mehr jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten. Die Kliniken dürfen nur noch die Leistungen erbringen, für die sie die qualitativen Voraussetzungen erfüllen. Zudem muss ein Bedarf bestehen.