Prof. Dr. Christoph Dodt ist Chefarzt des interdisziplinären Notfallzentrums am Klinikum Bogenhausen in München, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) und Vizepräsident der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM). Wir sprechen im Interview mit ihm darüber, wie die Notfallversorgung der Zukunft aussieht und warum die Versorgung von Notfällen so hochkomplex ist.
Die Bundesregierung plant eine umfassende Reform der Notfall- und Akutversorgung. Warum ist aus Ihrer Sicht eine solche Reform notwendig und welche Erwartungen haben Sie als Notfallmediziner?
Prof. Dr. Dodt: Aus notfallmedizinischer Sicht ist es sinnvoll, dass man einige Dinge zukünftig besser regelt. Zum einen muss die Patientensteuerung vor der Klinik verbessert werden. Aber auch in der Klinik müssen die Patienten richtig gesteuert werden. Wir brauchen an den Kliniken die Zentralisierung von Kompetenzen und zukünftig eine qualitätskontrollierte, umfassende Versorgung in diesem Bereich.
"Jeder 14. Patient, der zu Fuß in ein Krankenhaus kommt, landet auf der Intensiv- bzw. Überwachungsstation“ – das sagten Sie bei unserer letzten Veranstaltung, dem Versorgungsdialog, in Hannover. Welche Herausforderungen ergeben sich aus dieser Feststellung?
Dodt: Wenn ein Patient mit einer Beschwerde in die Klinik kommt, kann diese Beschwerde die unterschiedlichsten Ursachen haben. Von einer banalen, leicht zu behebenden Störung bis hin zu Symptomen, die sich als Zeichen einer lebensbedrohlichen Erkrankung herausstellen. Patienten müssen deshalb schon nach dem Erstkontakt innerhalb von zehn Minuten auf ihr individuelles Risiko eingeschätzt werden. Daraus leitet sich dann eine Behandlungsdringlichkeit ab. Dabei ist es wichtig, dass Pflegekräfte und Ärzte hinter jedem Symptom die möglicherweise bedrohlichen Diagnosen kennen und gezielt evaluieren. Diese Einschätzung der Risiken ist eine hochprofessionelle Tätigkeit, die gründlich erlernt werden muss. Deshalb ist eine Professionalisierung in diesem Bereich so entscheidend.
Der nächste Punkt ist, dass Menschen, die aus eigener Veranlassung ins Krankenhaus kommen, auf Grund der Auswahl ihres Versorgungsortes ein höheres Risiko für schwere Erkrankungen haben, als solche, die mit der gleichen Symptomatik einen Hausarzt aufsuchen. Die Selbsteinschätzung der Patienten ist häufig sehr gut – das muss man bei allen Maßnahmen zur Patientensteuerung vor der Klinik besonders berücksichtigen. Patientinnen und Patienten dürfen nicht alle über einen Kamm geschoren werden – wer selbstständig in ein Krankenhaus läuft und sich selbst sicher ist, dass die vorliegenden Symptome schwerwiegend sind, hat sich häufig selbst ganz gut eingeschätzt.
Aktuell ist die Notfallmedizin in der Ausbildung von Fachärztinnen und Fachärzten kein eigenes Fachgebiet. Brauchen wir aus Ihrer Sicht eine Veränderung an der universitären Ausbildung und Forschung, um die Notfall- und Akutversorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern?
Dodt: Es ist meine tiefste Überzeugung, dass man echte Profis in den Notfallabteilungen der Krankenhäuser braucht. Die Patientinnen und Patienten haben das Recht, dass Fachärzte für Notfallmedizin ihre initiale Behandlung beginnen und dann weiter steuern. Wir haben in Deutschland keine Fachärztlichkeit für Notfallmedizin, sondern eine Zusatzweiterbildung in diesem Bereich. Diese Weiterbildung für Ärzte dauert mindestens sieben Jahre und ist nicht nur sehr lang, sondern auch sehr unspezifisch. Viele Ärzte wollen deshalb diesen Weg nicht gehen. Um die Situation zu verbessern und mehr Spezialisten für die ersten vier Stunden in der Behandlung von Notfällen zu schaffen, brauchen wir den Facharzt für Notfallmedizin. Diese Fachlichkeit braucht an den Universitäten einen eigenen Lehrstuhl. Wir schaffen dadurch einen enormen Vorteil für das deutsche Gesundheitswesen, weil wir uns dann um dieses Fachgebiet ausführlich in Wissenschaft und Lehre kümmern können.
Wir bedanken uns bei Herrn Prof. Dr. Dodt für das Interview!