Aus: Gesundheitspolitische Positionen der Barmer Mecklenburg-Vorpommern zur Landtagswahl 2021
Die Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern steht vor erheblichen Herausforderungen, bedingt durch den demographischen Wandel mit Fachkräftemangel, der besonderen Situation eines dünnbesiedelten Flächenlandes, einem veränderten Versorgungsbedarf, den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt sowie bundesrechtlichen Rahmenbedingungen. Die Arbeit der Enquete-Kommission hat die Herausforderungen für unser Bundesland sehr detailliert beschrieben. Umso mehr muss es elementare Aufgabe aller Akteure im Gesundheitswesen sein, eine bedarfsgerechte, gute und erreichbare Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger im Land auch in Zukunft sicherzustellen.
Die Qualität der Gesundheitsversorgung wird dabei nicht nur vom Stand der medizinischen und technischen Entwicklung bestimmt. Für eine patientenorientierte, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung müssen vor allem auch die Strukturen des Gesundheitssystems ständig fortentwickelt werden. Ziel muss es sein, durch stärker vernetzte Versorgungsstrukturen und eine Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung mehr Koordination und Kooperation zwischen den Leistungserbringern zu erreichen und damit die Qualität und Effizienz des Gesundheitswesens in den nächsten Jahren weiter zu steigern. Die Experten in der Enquete-Kommission und das dort in Auftrag gegebene Gutachten des „Institute of Health Care Management (hcb)“ haben dieses Ziel ebenfalls formuliert.
Routine und Erfahrung statt wohnortnaher Erreichbarkeit
Bei bestimmten Krankheitsbildern hängt die Qualität der Gesundheitsversorgung nicht von einer wohnortnahen Erreichbarkeit, sondern von Routine und Erfahrung ab. Aus diesem Grund sollten gerade seltene und schwere Erkrankungen an ausgewählten Standorten konzentriert werden. Die Spezialisierung von Krankenhäusern auf bestimmte Eingriffe ist für die Patientensicherheit sinnvoll und erhöht die Qualität der medizinischen Versorgung. Mit vier Maximalversorgern im Land bietet Mecklenburg-Vorpommern den Menschen erreichbare Hochleistungsmedizin.
Seit Jahrzehnten ist der Gesetzgeber bemüht, die Qualität der stationären Versorgung zu verbessern. Dabei wurde eine große Zahl an Instrumenten zur Qualitätssicherung eingeführt. Die Ergebnisse sind trotzdem vielfach nur durchschnittlich. Deshalb sollten die heute vorhandenen Möglichkeiten konsequenter genutzt und verbindlicher umgesetzt werden.
Ausnahmen von Mindestmengen bei fehlender Infrastruktur
Die Regelungen zu den Mindestmengen sollen in Verbindung mit den Qualitätsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gewährleisten, dass medizinische Eingriffe nur dort stattfinden, wo die personellen und strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind. Es zeichnet sich ab, dass bei der Umsetzung der neuen Mindestmengenzahlen einige Krankenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern Schwierigkeiten haben werden, die Vorgaben einzuhalten.
Der Deutsche Bundestag hat das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) am 11.06.2021 in 2./3. Lesung beschlossen. Danach können die Länder weiterhin Ausnahmen von den Mindestmengenvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses vorsehen, wenn sonst die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung gefährdet würde.
Über Ausnahmen von der Mindestmengenregelung entscheidet künftig die Landesbehörde auf Antrag des Krankenhauses im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen. Die Aussetzung von Mindestmengenvorgaben ist jeweils auf ein Jahr befristet und muss danach neu beraten werden.
Mitspracherecht ist erster Schritt in richtige Richtung
Damit die bundesweiten Qualitätsvorgaben in der Krankenhausversorgung stringent umgesetzt werden, wäre die ursprünglich vorgesehene Streichung aller Ausnahmetatbestände von den Mindestmengenregelungen konsequenter gewesen. Dass die Landesbehörden zukünftig nur im Einvernehmen mit den Krankenkassen Ausnahmeentscheidungen gewähren können, ist dennoch sinnvoll. Die Kostenträger erhalten damit ein verbindliches Mitspracherecht im Rahmen der Krankenhausplanung. Auch wenn dieses Mitspracherecht nur auf die Mindestmengenregelung begrenzt ist, handelt es sich um einen Schritt in die richtige Richtung und um eine Hürde, Ausnahmeentscheidungen nicht willkürlich anzuwenden.
Die Mindestmengenregelungen müssen zudem auf weitere Leistungsbereiche ausgeweitet werden, auch empfiehlt es sich, die Anhebung bestehender Mindestmengen zu prüfen. In Mecklenburg-Vorpommern stellen diese Regelungen eine besondere Herausforderung dar. Durch die geringe Bevölkerungsdichte ist es für Krankenhäuser im ländlichen Raum besonders schwierig, die notwendigen Mindestmengen zu erreichen. Da es sich bei den Leistungen sehr häufig um planbare Eingriffe handelt, ist die Qualität das Zielkriterium und nicht die räumliche Nähe. Der Anspruch Mecklenburg-Vorpommerns das „Gesundheitsland Nr. 1“ zu sein, würde ansonsten konterkariert. Neben den Regelungen zu Mindestmengen müssen weitere verbindliche Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität festgelegt werden. Leistungen sollten grundsätzlich nur dann vergütet werden, wenn Mindestanforderungen an Strukturen und Prozesse eingehalten werden.
Vorgaben für Personal- und Praxisausstattung
Eine wesentliche Voraussetzung für Qualität ist eine gute Personalausstattung in den Krankenhäusern. Seit 2019 gelten – mit einer pandemiebedingten Unterbrechung – für bestimmte Bereiche der Pflege in den Krankenhäusern Personaluntergrenzen. Für eine bessere Pflege am Krankenbett sind unterschiedliche Personaluntergrenzen je pflegesensitivem Fachbereich grundsätzlich sinnvoll. Deshalb sollten sie schrittweise für alle Fachabteilungen festgelegt und eingeführt werden. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern müsste zukünftig die ihr über-mittelten Ergebnisse zur Einhaltung von Pflegepersonaluntergrenzen und Pflegepersonalquotienten in der Krankenhausplanung berücksichtigen.
Im ambulanten Bereich kommt den Qualitätsmanagement-Verfahren der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zur Förderung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung eine wichtige Bedeutung zu. Sie müssen für Praxen verpflichtend werden, da Qualitätssicherungsinstrumente einen entscheidenden Beitrag für mehr Patientensicherheit leisten. Die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung hängt auch von der Sicherheit der medizinischen Untersuchungsgeräte ab, hier werden verbindliche Vorgaben für die Ausstattung der Praxen benötigt.