Aus: Gesundheitspolitische Positionen der Barmer Mecklenburg-Vorpommern zur Landtagswahl 2021
Im Jahr 2019 gab es bundesweit 496 Pflegebedürftige je 10.000 Einwohner, in Mecklenburg-Vorpommern waren es mit 640 rund 30 Prozent mehr. Diese höhere Zahl lässt sich durch die ältere Bevölkerung im Land erklären, macht aber zugleich deutlich, vor welchen Herausforderungen die Pflege in Mecklenburg-Vorpommern steht. Dabei sichern im Land über 500 ambulante Pflegedienste, mehr als 220 Tagespflegeeinrichtungen und über 250 vollstationäre Pflegeeinrichtungen eine flächendeckende und bedarfsgerechte pflegerische Versorgung.
Auf der Bundesebene hat es im Juni 2021 neue gesetzliche Regelungen für den Pflegebereich gegeben. Der Deutsche Bundestag hat das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) am 11.06.2021 in 2./3. Lesung beschlossen. Eingang in das GVWG haben unter anderem die pauschale Übernahme von Kosten für medizinische Behandlungspflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen durch die GKV ab dem 01.01.2022 oder der neue Leistungsanspruch auf Übergangspflege im Krankenhaus gefunden. Weitere Regelungen sind u.a., dass die Pflegeeinrichtungen in Zukunft nur noch dann zugelassen werden sollen, wenn sie ihre Pflegekräfte nach Tarif bezahlen. Deshalb dürfen die Pflegekassen ab 01.09.2022 Versorgungsverträge nur noch mit solchen Pflegeeinrichtungen abschließen, die ihren Pflege- und Betreuungskräften eine Entlohnung zahlen, die in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart ist. Die Regelung setzt einen starken Anreiz, attraktivere Löhne in der Altenpflege zu zahlen. Dies ist auch deshalb notwendig, um eine Abwanderung der Fachkräfte in die besser bezahlte Krankenpflege zu verhindern.
Finanzielle Unterstützung für Pflegebedürftige
Um Pflegebedürftige vor Überforderung durch steigende Pflegekosten zu schützen, so die Begründung im Gesetz, zahlt die Pflegeversicherung bei der Versorgung im Pflegeheim künftig neben dem nach Pflegegrad differenzierten Leistungsbetrag einen Zuschlag. Er steigt mit der Dauer der Pflege: Im ersten Jahr trägt die Pflegekasse 5 Prozent des pflegebedingten Eigenanteils, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und danach 70 Prozent. In der ambulanten Pflege werden die Sachleistungsbeträge um 5 Prozent erhöht, um auch dort den steigenden Vergütungen Rechnung zu tragen.
Um die Finanzierung der Pflegeversicherung zu sichern und die Pflegebedürftigen weiter finanziell zu entlasten, ist die vollständige Übernahme der Investitionskosten in der Pflege durch das Land zwingend notwendig. Auf die Pflegekassen kommen durch die Regelungen in den nächsten Jahren Ausgaben in Milliardenhöhe zu, die nicht ausreichend gegenfinanziert sind. Notwendig ist eine sichere Finanzierung der Pflegeversicherung. Der dafür notwendige Steuerzuschuss sollte verstetigt werden und im Gleichschritt mit den Ausgaben der Sozialen Pflegeversicherung regelmäßig steigen.
Pflegende Angehörige fühlen sich überlastet
Die Familie ist das Fundament der Pflege in Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern erhalten rund 50 Prozent aller Pflegebedürftigen Pflegegeld und werden durch Familie und Vertraute gepflegt. Angesichts der demografischen Entwicklung, wie im Gutachten der Enquete-Kommission aufgezeigt wird, ist davon auszugehen, dass künftig noch deutlich mehr Angehörige pflegerische Aufgaben übernehmen. Dies bringt vielfache Belastungen mit sich, ganz besonders, wenn nebenher noch eine Berufstätigkeit besteht. Dem Barmer Pflegereport zufolge fühlen sich viele Angehörige überlastet.
Um hier zu helfen, ist die Etablierung eines Case-Managements zielführend. Besonders Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf, wie etwa geriatrische Patientinnen und Patienten, sind häufig auf Unterstützung angewiesen, um im für sie unübersichtlichen Gesundheitssystem die notwendigen Versorgungsleistungen zu erhalten. Dabei müssen alle Möglichkeiten für eine kontinuierliche Versorgung der Patientinnen und Patienten genutzt werden. Das setzt die Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe zwischen den unterschiedlichen Sektoren im Gesundheitswesen voraus. Diese Unterstützung können Case Manager leisten, indem sie die Versorgungsleistungen für Patientinnen und Patienten koordinieren und diese engmaschig betreuen. Das Case Management umfasst aber auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung.
Qualifizierte Fachkräfte in einer Praxis, einem Ärztenetz oder in einer Krankenkasse müssen als Case Manager im Rahmen der Delegation den individuellen Unterstützungsbedarf der Patientinnen und Patienten koordinieren und sie zielgerichtet an andere Leistungserbringer weiterleiten dürfen. Hierzu ist eine enge Abstimmung unter ärztlichen und nicht-ärztlichen Leistungserbringern notwendig. Auch im Gutachten von hcb wird die Bedeutung des Case-Managements gerade für Mecklenburg-Vorpommern aufgezeigt. Der Vorschlag, Case-Manager an die „Integrierten Gesundheitszentren“ anzubinden, ist sinnvoll und sollte umgesetzt werden.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, mehr niedrigschwellige Angebote zu entwickeln, um frühzeitig professionelle Hilfe leisten und Alarmsignale wahrnehmen zu können. Die gesetzliche Pflegeberatung ist ein wichtiger Baustein, doch auch die Kommunen und Landkreise sind gerade in den ländlichen Regionen in der Pflicht, aufsuchende Strukturen zu schaffen. Mit dem Ausbau von insgesamt 19 Pflegestützpunkten hat das Land gemeinsam mit den Kommunen und den Pflegekassen ein flächendeckendes Unterstützungsangebot etabliert.
Hohe Qualitätsstandards in der Pflege sind elementar
Hilfreich war die finanzielle Unterstützung des Landes bei der Entwicklung einer umfassenden und abgestimmten Pflegesozialplanung durch kreisfreie Städte und Landkreise. Diese kommunalen Pflegesozialplanungen sollen nach Vorstellung des Landes zu seniorenpolitischen Gesamtkonzepten weiterentwickelt werden.
Eine hohe pflegerische Qualität, unabhängig vom Ort der Leistungserbringung, ist für Pflegebedürftige elementar. Wichtig sind daher hohe Qualitätsstandards auch für alle pflegerischen Einrichtungen des betreuten Wohnens und in Pflegewohngemeinschaften. Daher muss in Mecklenburg-Vorpommern das Einrichtungenqualitätsgesetz reformiert werden. Sinnvoll ist die bisherige Unterscheidung dieser Wohnformen von stationären Einrichtungen aufzuheben und für alle gleiche Qualitätsstandards festzulegen. Das Land sollte zudem dafür sorgen, dass in Mecklenburg-Vorpommern eine Stelle geschaffen wird, die für die nötige Transparenz sorgt und eine Übersicht über das Leistungsspektrum und die Pflegequalität der Anbieter schaffen kann.