Schwerin, 22. Oktober 2019 – Gesunder Schlaf fördert die Gesundheit, das Leistungsvermögen und die Produktivität am Arbeitsplatz. Allerdings treten immer weniger Menschen ihren Arbeitstag ausgeschlafen an. So kommt der Barmer Gesundheitsreport 2019 zu dem Ergebnis, dass 31 von 1.000 Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern nicht richtig ausgeschlafen sind.
Im Nordosten leiden rund 3 Prozent, hochgerechnet 24.500 Erwerbspersonen, unter ärztlich attestierten Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnien). Dabei liegt die Zahl der Betroffenen fast 19 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 3,8 Prozent. „Die Menschen in unserem Bundesland schlafen vergleichsweise gut“, sagt Henning Kutzbach, Landesgeschäftsführer der Barmer in Mecklenburg-Vorpommern.
Zahl der Schlafstörungen stark gestiegen
Es gibt jedoch einen besorgniserregenden Trend: Erhielten im Jahr 2005 noch 17 von 1.000 Beschäftigten in MV die Diagnose Ein- und Durchschlafstörung, stieg die Zahl der Betroffenen im Jahr 2017 auf 31 – ein Plus von 87 Prozent. „Die aktuelle Entwicklung betrachten wir mit Sorge. Voraussetzung für eine gesunde Lebensweise ist ein gesundes Schlafverhalten. Zudem müssen wir uns fragen, aus welchen Gründen Beschäftigte heute schlechter schlafen als noch vor 15 Jahren“, so Henning Kutzbach. Besonders alarmierend sei der Anstieg bei den männlichen Erwerbspersonen: Von 2005 bis 2017 wurde bei ihnen ein Plus von 120 Prozent für die Diagnose Insomnie verzeichnet.
Hohe Dunkelziffer bei Ein- und Durchschlafstörungen
Dabei scheinen die Auswirkungen von Schlafstörungen auf die Gesundheit und das Leistungsvermögen von Beschäftigten bislang drastisch unterschätzt worden zu sein. Stellt man die Ergebnisse der repräsentativen Befragung „Schlafgesundheit in Deutschland“ aus dem Jahr 2018 und die im Barmer Gesundheitsreport 2019 analysierten Diagnosezahlen gegenüber, wird sichtbar, dass weniger als die Hälfte der Betroffenen mit subjektiv empfundenen Schlafstörungen zum Arzt gehen. „Unsere Daten zeigen nur die Spitze des Eisbergs“, mutmaßt der Barmer-Landeschef. Die Dunkelziffer bei den Schlafstörungen dürfe sehr viel höher liegen.
36 Krankheitstage mehr bei Schlafstörungen
„Anhaltender Schlafmangel macht nicht nur krank, er verlangsamt auch das Gesundwerden“, stellt Henning Kutzbach fest. Laut Barmer Report waren die ,Schlafmangel-Geplagten‘ im Vergleich zu ihren ausgeschlafenen Kollegen durchschnittlich 56 Tage im Jahr arbeitsunfähig und damit 36 Fehltage pro Jahr mehr krankgeschrieben. Dabei wurden in Verbindung mit Insomnien überdurchschnittlich oft psychische Erkrankungen festgestellt. So wurde bei rund 53 Prozent der Betroffenen eine anhaltende, krankhaft veränderte negative Grundstimmung (affektive Störung) diagnostiziert. Immerhin 26 Prozent der von Schlafstörungen Betroffenen hatten zusätzlich eine psychische Erkrankungsdiagnose, die dazu führt, dass der Genesungsprozess deutlich länger ausfällt.
Schlafkiller Schichtarbeit – ein Leben gegen den Rhythmus
Beschäftigte im Schichtdienst leben entgegen einem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus. Sie arbeiten, wenn der Körper normalerweise schläft, und (sollen) schlafen, wenn er eigentlich auf Aktivität eingestellt ist. Auch ist ihr Schlaf am Tag im Schnitt um zwei Stunden kürzer als der normale Nachtschlaf. Das führt oft zu massiven Ein- und Durchschlafstörungen. Das mit Abstand größte Risiko, an Schlafstörungen zu erkranken, haben unter den Beschäftigten Bus- und Straßenbahnfahrer, gefolgt von Maschinen und Anlagenführern. Auch Beschäftigungen im Objekt-, Werte- und Personenschutz sowie Tätigkeiten in Callcentern bergen nach Analysen des Barmer Reports ein großes Risiko für diese Störungen. In den genannten Berufen kommt Schicht- und Nachtarbeit vergleichsweise häufig vor. Hier finden sich oft überdurchschnittlich viele er-krankungsbedingte Fehlzeiten je Jahr.
Die Angst vor der Schlaflosigkeit
Wer dauerhaft unter (schweren) Schlafstörungen leidet, ist oftmals durch ein eingeschränktes Immunsystem anfälliger für Infekte. Zudem ist das Risiko bei den Betroffen für Adipositas, Depressionen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und weiteren Krankheiten erhöht. Prof. Dr. Andreas Broocks, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an den Helios Kliniken in Schwerin, warnt jedoch davor, aus Schlafstörungen zwingend auf Folgeerkrankungen zu schließen: „Gerade bei der sehr häufig vorkommenden ,psychophysiologischen Insomnie‘ kann sich eine Art Kreislauf entwickeln. Bei den Betroffenen spielt die Angst, nicht schlafen zu können – und dadurch schwere, gesundheitliche Folgen zu erleiden – eine große Rolle. Durch krampfhafte Versuche, unbedingt einschlafen zu müssen, kommt es dann erst zur Entwicklung einer chronifizierten und schweren Schlafstörung.“
Sinnvolle Therapie bei Ein- und Durchschlafstörungen
Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht des Mediziners auch die alleinige Verordnung von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln als Therapie nicht ausreichend. „Allein auf eine Medikamentengabe zu setzen, kann sogar kontraproduktiv sein und zu weiteren Problemen, wie etwa einer Suchtentwicklung, führen“, erklärt Prof. Broocks. Entscheidend sei die professionelle Behandlung der Grunderkrankung, wobei auch schlafhygienische Maßnahmen zusätzlich Anwendung finden sollten. Insbesondere haben sich verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme bewährt. Deren Wirksamkeit konnte in einer Vielzahl von kontrollierten Studien nachgewiesen werden. Begleitend können, insbesondere in der Anfangsphase der Behandlung, auch neuartige medikamentöse Strategien sehr hilfreich sein.
Kognitive Verhaltenstherapie als Behandlungsmöglichkeit
Auch die Barmer spricht sich statt einer ausschließlich medikamentösen Therapie für eine kognitive Verhaltenstherapie als Behandlungsform bei Insomnien aus. Im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsprävention bietet die Krankenkasse, auch für Unternehmen mit einem hohen Anteil an Schichtarbeitern, Präventionsprogramme an, um Ein- und Durchschlafstörungen entgegen zu wirken. „Jeder kann aber auch selbst etwas dafür tun, um Stress zu vermindern und so Einschlafprobleme zu reduzieren. In von der Krankenkasse unterstützen Präventionskursen, wie Autogenes Training oder Yoga, kann man Entspannungstechniken erlernen, die dabei helfen, abends abzuschalten“, so der Barmer-Landeschef.