Schwerin, 18. Dezember 2018 – In keinem anderen Bundesland ist das Risiko, pflegebedürftig zu werden, so hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern. Bundesweit werden im Schnitt 3,7 Prozent der Bevölkerung gepflegt. Im Nordosten ist es jeder 20. (fünf Prozent).
Ein Großteil der Pflegebedürftigen (über drei Viertel) wird in Mecklenburg-Vorpommern zu Hause betreut. Mit rund 58.000 Hauptpflegepersonen hierzulande ist die Familie der größte Pflegedienst. Laut dem neuen Barmer-Pflegereport stehen allerdings 7,5 Prozent der pflegenden Angehörigen kurz davor, die Pflege einzustellen oder haben den Wunsch, mit der Pflege aufzuhören. Das geht aus Ergebnissen einer bundesweit repräsentativen Befragung von pflegenden Angehörigen hervor. Allein in Mecklenburg-Vorpommern sind demnach 4.350 Angehörige erschöpft ─ sie stehen kurz davor, das Handtuch zu werfen. „Viele pflegende Angehörige sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Es ist höchste Zeit, dass sie schon frühzeitig besser unterstützt, umfassend beraten und von überflüssiger Bürokratie entlastet werden“, sagt Henning Kutzbach, Landesgeschäftsführer der Barmer in Mecklenburg-Vorpommern, bei der Vorstellung des Pflegereports am Dienstag in Schwerin. Laut der Erhebung wünschen sich fast 60 Prozent der Befragten weniger Bürokratie bei der Beantragung von Leistungen. Deshalb wird es bei der Barmer in Kürze möglich sein, den Hauptantrag für Pflegeleistungen unkompliziert online zu stellen.
In der Rolle als Pflegende gefangen
Doch der bürokratische Aufwand ist nur eine Form der Belastung: Bei 85 Prozent der Betroffenen bestimmt die Pflege täglich das Leben, fast 40 Prozent fehlt Schlaf, 30 Prozent fühlen sich in ihrer Rolle als Pflegende gefangen. In zwei Drittel aller Fälle übernehmen Frauen die Arbeit, in einem Drittel Männer. 38 Prozent der Hauptpflegepersonen sind 70 Jahre und älter. „Die pflegenden Familienmitglieder sind ein sehr wichtiger Pfeiler unseres Pflegesystems. Ohne ihren unschätzbaren Dienst würde das System zusammenbrechen. Oft kommen dabei jedoch ihre eigenen Bedürfnisse zu kurz und sie werden krank. Unsere Aufgabe muss es sein, die Rahmenbedingungen für pflegende Angehörige zu verbessern“, so der Barmer-Landeschef.
Belastung schlägt auf die Gesundheit
Die Zahlen belegen, dass pflegende Angehörige vergleichsweise häufiger krank sind als andere. So leiden in Mecklenburg-Vorpommern mehr als die Hälfte (59 Prozent) von ihnen unter Rückenbeschwerden. Nur in Brandenburg und Thüringen (60 Prozent) ist dieser Wert noch höher. Bei Personen, die niemanden pflegen, trifft dies auf 53 Prozent zu. Ähnlich verhält es sich bei Depressionen: Während der Anteil der Erkrankten unter den pflegenden Angehörigen in Mecklenburg-Vorpommern bei rund 22 Prozent liegt, sind es bei Personen, die niemanden pflegen, nur 17 Prozent. Insgesamt leidet in Deutschland jeder zweite pflegende Angehörige unter einer psychischen Störung. Die Unterstützungsangebote wie Kurzzeit- und Verhinderungspflege oder Haushaltshilfen werden von den pflegenden Angehörigen zwar überwiegend positiv bewertet, allerdings sehr wenig genutzt. Viele Pflegende wissen nicht, wo sie Hilfe erhalten können. Dies müsse sich ändern, fordert Henning Kutzbach. In den Barmer-Geschäftsstellen vor Ort werden Betroffene zu den Unterstützungsmöglichkeiten kompetent beraten. Eine Beratung ist auch per Telefon, online oder Hausbesuch möglich. Die 17 Pflegestützpunkte im Land, die gemeinsam von den Kommunen, Kranken- und Pflegekassen getragen werden, helfen ebenso bei der Suche nach Unterstützung. „Dabei ist es wichtig, dass Pflegepersonen nicht nur für ihren Angehörigen, sondern auch für sich selbst Hilfe bekommen. Um ihnen den Alltag zu erleichtern, bietet die Barmer für ihre Versicherten kostenlos das Seminar ‚Ich pflege – auch mich‘ an. In mehreren Modulen lernen die Teilnehmer, wie sie sich trotz der anstrengenden Pflegesituation entlasten können“, so der Barmer-Landesgeschäftsführer.
Den Pflegealltag erleichtern
Doch nicht nur Seminare und Beratungsangebote helfen Pflegenden, auch Kommunikations- und Assistenzsysteme können unterstützend sein. Am Standort Greifswald/ Rostock des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) wollen Forscher ein computergestütztes Verfahren erproben, das Ärzten dabei hilft, die Bedürfnisse pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz zu erfassen – und unterstützende Maßnahmen in die Wege zu leiten. „Denn rechtzeitige Maßnahmen können pflegende Angehörige entlasten. Ob Physiotherapie, Urlaubsvertretung oder Erfahrungsaustausch im Rahmen einer Angehörigengruppe – hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten“, erklärt Projektleiterin Dr. Ina Zwingmann vom DZNE. Die Studie „Gesund pflegen: Entwicklung eines Versorgungsmanagements von Versorgungsbedarfen pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz (InA-Studie)“ startet im März kommenden Jahres. Unterstützt wird das Vorhaben von der Barmer und anderen Kooperationspartnern. Vor dem Hintergrund der alarmierenden Zahlen, die der Barmer Pflegereport liefert, sind laut Zwingmann Vorhaben wie die InA-Studie unerlässlich, um den Alltag Pflegender zu erleichtern. Hierzu bedarf es einer engen Zusammenarbeit von allen Akteuren in der Gesundheitsversorgung, so die Wissenschaftlerin.