Schwerin, 30.08.2018 – Die zahnmedizinische Versorgung pflegebedürftiger Senioren hat noch immer Schwächen. Die in den Jahren 2013 und 2014 eingeführten Leistungen zugunsten Pflegebedürftiger wirken zum Teil nicht so, wie ursprünglich beabsichtigt. Denn die therapeutischen Leistungen durch den Zahnarzt verharren nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Das geht aus dem aktuellen Zahnreport 2018 der Barmer hervor.
Dank neuer und modifizierter Leistungsziffern können Zahnärzte den Besuch bei Heimbewohnern höher abrechnen. Sie sollten die Versorgung Pflegebedürftiger verbessern. Obwohl diese Leistungsziffern allein im Jahr 2016 krankenkassenweit 1,9 Millionen Mal abgerechnet wurden, hat nicht einmal die Inanspruchnahme einfacher Therapieleistungen wie kleinerer Reparaturen an Zahnprothesen zugenommen. „Die Reform für eine bessere Zahngesundheit im Pflegeheim hat ihr Ziel noch nicht erreicht. Nun müssen Analysen ergeben, an welcher Stelle konkrete Maßnahmen in Zukunft zu mehr zahntherapeutischen Leistungen führen können“, sagt Henning Kutzbach, Landesgeschäftsführer der Barmer in Mecklenburg-Vorpommern.
Mehr als jeder zweite Zahnarztbesuch ohne nachfolgende Leistungen
Kutzbach sprach sich für die Entwicklung von Leitlinien und Handlungsempfehlungen für die zahnärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern aus. Denn laut Deutscher Mundgesundheitsstudie aus dem Jahr 2016 ist die Zahngesundheit von Bewohnern in Pflegeheimen im Vergleich zu Nicht-Pflegebedürftigen schlechter. Dabei haben die Krankenkassen allein im Jahr 2016 bundesweit mehr als 55 Millionen Euro für die neuen Leistungsziffern ausgegeben. „Durch die neuen Abrechnungsziffern werden mehr Pflegeheimbewohner durch den Zahnarzt erreicht, und vermutlich kommt es auch zu mehr Prävention. Allerdings erfolgte bei mehr als zwei Dritteln der Besuche am selben Tag keine therapeutische Leistung und bei mehr als der Hälfte auch innerhalb der folgenden 90 Tage nicht“, sagt Henning Kutzbach.
Zu wenige Kooperationen: nur 80 Pflegeheime Verträge geschlossen
Einige Leistungsziffern lassen sich nur abrechnen, wenn Zahnärzte mit Pflegeheimen Kooperationsverträge abgeschlossen haben. Sie sollten die Versorgung verbessern. Jedoch nahmen nur 16,2 Prozent der vollstationär zupflegenden Senioren aus Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2016 Leistungen im Rahmen eines Kooperationsvertrages in Anspruch. Von den derzeit insgesamt 250 Pflegeheimen in Mecklenburg-Vorpommern haben lediglich 80 eine Kooperation mit Zahnärzten geschlossen. Trotz der relativ niedrigen Inanspruchnahme lässt sich ein deutlicher Zuwachs der Kooperationen aus-machen: Im Jahr 2015 hatten nur 50 Pflegeheime einen solchen Vertrag geschlossen.
Deutliche regionale Unterschiede
Betrachtet man die Inanspruchnahme des Zahnarztes und therapeutischer Leistungen ungeachtet der Frage, ob Kooperationsverträge vor Ort bestehen oder nicht, fällt die Bilanz in den Bundesländern sehr uneinheitlich aus. So hat in Mecklenburg-Vorpommern seit dem Jahr 2013 die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen im Pflegeheim insgesamt um 6,3 Prozent zugenommen, während die Inanspruchnahme der Therapieleistungen um lediglich 2,0 Prozent anstieg. Im Ländervergleich positioniert sich der Nordosten damit im unteren Drittel. Allerdings entwickelten sich beide Parameter hier positiv.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich in Berlin. Dort haben zahnärztliche Leistungen im Pflegeheim seit dem Jahr 2013 insgesamt nur um 5,2 Prozent zugenommen, während Therapieleistungen sogar um 9,7 Prozent zurückgingen. In Thüringen wiederum waren es plus 0,6 Prozent und minus 14,3 Prozent, wohingegen in Rheinland-Pfalz die Steigerungsraten bei 20,5 Prozent und 3,3 Prozent lagen. Allerdings waren die Ausgangswerte in den Ländern auch sehr heterogen. „Wenn Zahnärzte in einigen Regionen häufiger ins Pflegeheim gehen als in anderen Gebieten und sich die Inanspruchnahme von Therapieleistungen ebenfalls sehr unterschiedlich entwickelt, müssen die Rahmenbedingungen überprüft werden“, sagt Henning Kutzbach.
Antragsverfahren für Krankenfahrten vereinfachen
Auf der Suche nach Erklärungen haben die Autoren des Zahnreportes Interviews mit Pflegeheimbetreibern und kooperierenden Zahnärzten geführt. Demnach war mehr als die Hälfte der Befragten in Pflegeheimen der Meinung, dass sich die Mundgesundheit ihrer Bewohner trotz neuer Leistungsziffern nicht verändert hat. Das Ausbleiben therapeutischer Leistungen begründeten sie vor allem mit der nicht vorhandenen zahnärztlichen Ausstattung im Pflegeheim und mit dem bürokratischen Aufwand rund um den Krankentransport zum Zahnarzt. Zudem würden sich manche Betroffene weigern zum Zahnarzt zu gehen. „Um den Besuch von Pflegeheimbewohnern beim Zahnarzt nicht unnötig zu erschweren, sollten mehr Kooperationen geschlossen werden und das Angebot von mobilen Zahnbehandlungsmöglichkeiten erweitert werden“, resümiert Kutzbach.
Studenten besser in der Pflegezahnmedizin ausbilden
Prof. Dr. Christoph Benz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, weist auf eine weitere Problematik hin: „Heute schon muss jede zahnärztliche Praxis rechnerisch 71 Menschen mit Pflegegrad betreuen. Mit den deutlich steigenden Zahlen wird es immer wichtiger, Zahnärztinnen und Zahnärzte für die schwierigen Aufgaben in der Pflege zu gewinnen. Hier ist es besonders problematisch, dass sich die Studentinnen und Studenten gerade in der Pflegezahnmedizin besonders schlecht ausgebildet fühlen. Die Hochschule muss uns hier schnell unterstützen.“
Mobile Zahnpflege in der Pflegeeinrichtung. Foto: Barmer/ Torsten Nowak