Sektorengrenzen trennen das Gesundheitswesen in Deutschland längs der Schnittstelle von ambulanter und stationärer Versorgung. Im gesundheitspolitischen Diskurs fordern Akteure, dieses strukturelle Defizit aufzuheben und die Zusammenarbeit bzw. Vernetzung der einzelnen Bereiche voranzutreiben. In einem 10-Punkte-Papier macht die Barmer Vorschläge, wie eine sektorenübergreifende Versorgung weiterentwickelt werden könnte. Henning Kutzbach, Landesgeschäftsführer der Barmer in Mecklenburg-Vorpommern, erläutert, welche Schritte dafür notwendig sind.
Worin bestehen aus Ihrer Sicht die strukturellen Defizite in der medizinischen Versorgung?
Henning Kutzbach: Zunächst sollte festgehalten werden, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland generell sehr hoch ist. So schneidet beispielweise laut einer aktuellen Umfrage des Sozialforschungsinstituts Ipsos das deutsche Gesundheitssystem in punkto Zufriedenheit weltweit am besten ab. Die historisch gewachsenen Sektoren von ambulanter und stationärer Versorgung sind allerdings eine Schwäche, die es zu beheben gilt. Würden neue Rahmenbedingen geschaffen, die eine Organisation der medizinischen Behandlung über die Sektorengrenzen hinweg erleichtern, käme dies vor allem Patientinnen und Patienten zu Gute.
Inwiefern würden Patientinnen und Patienten davon profitieren?
Henning Kutzbach: Die Grenzen erschweren vor allem eine kontinuierliche und ganzheitliche Behandlung. Daraus ergeben sich für Patienten unterschiedliche Defizite, wie beispielsweise ein größer zeitlicher Aufwand oder auch längere Wartezeiten, wenn verschiedene Ärzte aufgesucht werden müssen. Bei wechselnden ärztlichen Ansprechpartnern kann es zu vermeidbaren Doppeluntersuchungen kommen. Durch eine intersektorale Versorgung würden die Behandlungsabläufe hingegen besser koordiniert werden können. Das bedeutet für den Patienten weniger Aufwand bei zielgerichteter Behandlung.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir als Krankenkasse einen Versorgungsauftrag haben, weshalb die Bedürfnisse unserer Mitglieder für uns im Mittelpunkt stehen. Andererseits sind wir zur Wirtschaftlichkeit verpflichte, da die Finanzierung des Gesundheitssystems im Wesentlichen auf den Beiträgen der Versicherten beruht. Deshalb gilt es, teure Doppelstrukturen abzubauen.
Welche konkreten Vorschläge macht die Barmer zur intersektoralen Versorgung im 10-Punkte-Papier?
Henning Kutzbach: Zunächst einmal gehen wir dem Problem auf den Grund: Solange ambulanter und stationärer Bereich mit ihren jeweils eigenen Regelungen zur Bedarfsplanung und zur Vergütung nebeneinander bestehen, bleiben Doppelstrukturen erhalten. Eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung ist hier zielführend. Das heißt, Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können, sollten in Zukunft gemeinsam geplant werden. Um den unproduktiven Wettbewerb von niedergelassenen Fachärzten und Krankenhäusern zu überwinden, müssen die derzeit unterschiedlichen Bedingungen bei Zugang, Vergütung, Qualität und Leistungsdefinition von medizinischen Leistungen abgeschafft werden. Leistungen werden oft dort erbracht, wo die Vergütung höher ist. Dadurch entstehen Fehlanreize. Diese müssen wir durch ein sektorenübergreifendes Vergütungssystem ändern. Dabei muss der Grundsatz gelten: Gleiches Geld für gleiche Leistung!
Denken Sie, dass in absehbarer Zeit eine sektorenübergreifende Versorgung umgesetzt werden kann?
Henning Kutzbach: Viele Akteure im Gesundheitssystem erkennen die Notwendigkeit der besseren Zusammenarbeit und machen sich bereits auf den Weg. Daher glaube ich, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche intersektorale Vernetzung gut sind. Das Vertrauensverhältnis zwischen allen Beteiligten wie Krankenhäuser, Ärzten und Krankenkasse muss sich weiter aufbauen, aber ich denke, wir gehen hier in die richtige Richtung. Wichtig wäre jetzt, Modellprojekte in den Regionen aufzusetzen, um die sektorenübergreifende Versorgung zu erproben.