Was bringt die neue Gesetzgebung? - Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Fachveranstaltung in der Vereinten Martin-Luther und Althanauer Hospitalstiftung in Hanau, zu der die Landesvertretung der Barmer GEK Hessen eingeladen hatte.
Landesgeschäftsführer Norbert Sudhoff konnte dazu mit Prof. Dr. Heinz Rothgang, Mitglied im Beirat des Bundesministerium für Gesundheit zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, und Dr. Stephan Halbig, Geschäftsbereichsleiter Pflege beim Medizinischen Dienst Hessen, zwei anerkannte Experten begrüßen. Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky wünschte der Tagung einen guten Verlauf. "Beim Wort Reform habe ich immer erst einen Anfangsverdacht. Skepsis und Zweifel machen sich breit", so Kaminsky. "Aber ich habe hier das Gefühl, das sich diese Reform in eine gute Richtung bewegt."
Diese Reform ist großzügig und gerecht
Und dieses 'gute Gefühl' konnte Prof. Heinz Rothgang durchaus bestätigen. Als Mitglied im Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs nahm er die Tagungsgäste noch einmal mit auf den sehr langen Weg dieser Reform. "Wir beheben jetzt einen der Geburtsfehler der Pflegeversicherung - die zu engen und sachlich nicht gerechtfertigten Leistungsvoraussetzungen", so Rothgang. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff werde durch das neue Begutachtungsassessment (NBA) definiert und nicht umgekehrt. Darum ist es dem bisherigen Verfahren überlegen, insbesondere durch die Erfassung weiterer Dimensionen von Pflegebedürftigkeit.
"Im Ergebnis wird kein Pflegebedürftiger, der bereits im System ist, schlechter gestellt. Im ambulanten Bereich werden aber 95 Prozent und im stationären rund zwei Drittel der bisherigen Leistungsempfänger besser gestellt", erläuterte Rothgang. Die höheren Belastungen für zukünftige Heimbewohner sind Ausdruck einer Umverteilung innerhalb der Heimbewohnerschaft, die seiner Meinung nach sachgerecht und gut begründet ist. Den einheitlichen Eigenanteil bezeichnete er als eine echte Innovation. Rothgang sagte aber auch deutlich, dass die Reform nicht alle Probleme der Pflegeversicherung löse. Als weitere große Baustellen bezeichnete er die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung, die Sicherung der Personalressourcen, die Mobilisierung der Zivilgesellschaft, die Entwicklung lebenswerter Quartierskonzepte sowie die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der Pflege.
46.000 mehr Leistungsberechtigte in Hessen
Wie sich das zweite Pflegestärkungsgesetz vor Ort auswirken wird und wie sich der Medizinische Dienst (MDK) darauf einstellen muss, davon berichtete Dr. Stephan Halbig, Leiter des Geschäftsbereichs Pflege beim MDK Hessen. Bundesweit wird es rund 590.000 Anspruchsberechtigte mehr geben, für Hessen bedeute das eine Zunahme von mehr als 46.000 Leistungsberechtigten. "Eine enorme Aufgabe für die MDK-Gemeinschaft", gab Halbig zu. "Aber wir liegen im Plan und werden gut starten können." Die Personalbemessungen wurden angepasst, die fachlichen Vorbereitung sind abgeschlossen, die Schulungen für die Multiplikatoren laufen, der Datenaustausch ist gesichert und umfangreiche Informationsmaterialien stehen bereits zur Verfügung. Petra Brugger, Verwaltungsdirektorin der Vereinten Martin Luther + Althanauer Hospital Stiftung Hanau, wies in ihrem Beitrag auf die Auswirkungen der Reformen im Bereich der stationären Pflege hin. Durch den sogenannten "Zwillingseffekt" werden die Erlöse der Einrichtungen beeinträchtigt.
Hanau ist bereits auf einen guten Weg
"Hanau ist eine Stadt die größer, bunter und auch älter wird", meinte Stadtrat Axel Weiß-Thiel zum Abschluss der Tagung. Er verwies auf die lange Tradition der Zivilgesellschaft in Hanau, die sich diesen Herausforderungen schon seit Jahrzehnten stellt. "Wir müssen unsere Stadt lebenswert gestalten - für alle. Das ist unser großes Ziel und daran arbeiten wir gemeinsam. Aber wir sind auf einem guten Weg", so Weiß-Thiel.
Barmer GEK Landesgeschäftsführer Norbert Sudhoff gab noch einen kurzen Ausblick auf das Pflegestärkungsgesetz III, das derzeit im Bundestag beraten wird. Es geht um die Verbesserung der Steuerung, Kooperation und Koordination von Beratung und Pflege in den Kommunen, um die Sicherstellung der Versorgung, um sogenannte niedrigschwellige Angebote und um die Pflegeberatung. Die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs muss zudem an das Bundesversorgungsgesetz angepasst werden. Städte und Gemeinden sollen künftig auf Initiative der Landkreise und kreisfreien Städte neue Beratungsstrukturen in Modellprojekten erproben dürfen. "Wir sollten aber auf keinen Fall gut funktionierende Strukturen in Frage stellen und Doppelstrukturen aufbauen", so Sudhoff und plädierte für ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen aller Beteiligten.