Jung und gesund? Lebenslustige Studenten? Stimmen diese Bilder eigentlich noch? Die Barmer hat in ihrem aktuellen Arztreport untersucht, wie es um die psychische Gesundheit von jungen Erwachsenen und Studierenden bestellt ist. „Die Ergebnisse unseres Arztreport 2018 zeigen auch für Hessen eine Entwicklung auf, die uns aufschrecken lässt“, so Norbert Sudhoff, Landesgeschäftsführer der Barmer Hessen.
Danach war fast jeder Vierte (24,6 Prozent) der 18 bis 25 jährigen in Hessen im Jahr 2016 von einer psychischen Erkrankungen betroffen. Umgerechnet sind das etwa 140.300 Betroffene. Bei 45.000 von ihnen wurde eine Depression diagnostiziert. Gegenüber dem Jahr 2006 bedeutet das eine Steigerung um 65 Prozent. 17.400 junge Erwachsene in Hessen erhielten dazu mindestens eine Antidepressiva-Verordnung. Auch diese Zahl stieg in den letzten 10 Jahren kontinuierlich an: insgesamt um 68 Prozent. "Vieles spricht dafür, dass es künftig noch deutlich mehr psychisch kranke junge Menschen geben wird. Gerade bei den angehenden Akademikern steigen Zeit- und Leistungsdruck kontinuierlich, hinzu kommen finanzielle Sorgen und Zukunftsängste. Vor allem mehr niedrigschwellige Angebote können helfen, psychische Erkrankungen von vorn herein zu verhindern“, meint Norbert Sudhoff.
Blackout durch Panik und Angstattacken
„Kurz vor der Prüfungsphase haben viele von uns trotz guter Vorbereitung Panik vor einem Black out. Und dann beginnen die Zweifel, die dich teilweise in ein tiefes Loch stürzen lassen“, berichtet Constanze Milbrad, Studentin an der Fachhochschule Fulda in diesem Zusammenhang. Die meisten Hochschulen verfügen zwar mittlerweile über psychotherapeutische Beratungsstellen, wo die Studierenden professionelle Beratung finden. „Qualitätsgesicherte Online-Angebote könnten aber vor einer professionellen Beratung eine wichtige Lücke im Alltag füllen, weil sie den Nutzungsgewohnheiten unserer Generation entgegenkommen“, so Milbrad.
Ein heterogenes Bild in Hessen
Ein sehr ungleiches Bild zeigt sich in Hessen bei Depressions-Diagnosen und Antidepressiva-Verordnungen. Betrachtet man allein den Zeitraum 2013 bis 2016 so werden in Offenbach, (+34%) im Lahn-Dill-Kreis (+ 33%) und in Wiesbaden (+ 26%) mehr Depressionsdiagnosen bei jungen Erwachsenen gestellt als im Bundesdurchschnitt. In Fulda und im Odenwaldkreis (jeweils - 23%) und im Main-Taunus-Kreis (- 15%) dagegen weniger. Auch bei den Verordnungen von Antidepressiva zeigt sich in Hessen ein heterogenes Bild. Während zum Beispiel in Gießen (+29%), im Rheingau-Taunus Kreis (+25%) und in Wiesbaden (+16%) die Verordnungen im Zeitraum 2013 bis 2016 deutlich über Bundesdurchschnitt liegen, werden in Frankfurt ( -19%), in Offenbach (-18%) und im Main-Kinzig-Kreis (-14%) deutlich weniger Antidepressiva verordnet.
Viele Betroffene suchen keinen Arzt auf
„Wir reden von fast 2 Millionen betroffenen jungen Erwachsenen bundesweit. Diese Zahl spiegelt letztendlich aber nur einen Teil der tatsächlich Betroffenen wieder. Denn aus Studien wissen wir, dass viele Betroffenen oft auch aus Scham keinen Arzt oder Psychotherapeuten aufsuchen“, so Dr. David Ebert, Leiter der Arbeitseinheit E-Mental Health & Behavioral Health Promotion and Technology Lab am Lehrstuhl Klinische Psychologie und Psychotherapie Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der die Barmer bei der Erstellung des Arztreportes begleitete. Bis Betroffene den Schritt zum Arzt oder Psychotherapeuten wagen, vergehen leider oft viele Jahre. „Im jungen Erwachsenenalter werden aber entscheidende Weichen für das spätere berufliche wie private Leben gestellt“, sagt Sudhoff. „Unser Report zeigt, wie wichtig es ist junge Erwachsene frühzeitig mit Hilfeangeboten erreichen zu können.“
Probleme lieber selber lösen?
Zahlreiche Studien belegen inzwischen das große Potential Internet- und App-basierter Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit. „ Das kommt vor allem den Betroffenen entgegen, die ihre Probleme schlicht und einfach selbständig lösen möchten“, so Ebert. „Sie können Betroffene dabei helfen bewährte psychologische Strategien selbstständig in den Alltag zu implementieren und so Beschwerden effektiv reduzieren und zukünftigen präventiv entgegenwirken. Sind sie richtig konzipiert können Sie genauso große Effekte haben, wie eine klassische Face-to-Face Psychotherapie.“