Dem Pflegenotstand in Deutschland droht nicht nur durch den Fachkräftemangel eine dramatische Verschärfung: Laut dem Barmer-Pflegereport steht jede 13. Person in Hessen, die heute Angehörige zu Hause pflegt, kurz davor, dieses wichtige Engagement aus gesundheitlichen Gründen zu beenden. Das geht aus den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung von pflegenden Angehörigen hervor.
Allein in Hessen wurden laut dem Statistischen Landesamt im Jahr 2017 über 54 Prozent der mehr als 262.000 Pflegebedürftigen zu Hause, ohne Unterstützung von ambulanten Pflegediensten, versorgt. Nach Hochrechnung der Barmer werden sie von etwa 189.000 Hauptpflegepersonen – in der Mehrzahl sind dies nahe Angehörige – unterstützt. „Viele pflegende Angehörige sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Es ist höchste Zeit, dass sie frühzeitig unterstützt, umfassend beraten und von überflüssiger Bürokratie entlastet werden“, sagte Landesgeschäftsführer Norbert Sudhoff bei der Vorstellung des Pflegereports in Frankfurt.
Pflege bestimmt das tägliche Leben
Der bürokratische Aufwand ist nur eine Form der Belastung: Bei 85 Prozent der Betroffenen bestimmt die Pflege das tägliche Leben, fast 40 Prozent leiden unter Schlafmangel, 30 Prozent fühlen sich in ihrer Rolle als Pflegende gefangen. Nur ein Drittel der pflegenden Angehörigen ist berufstätig, jeder Vierte hat seine Arbeit aufgrund der Pflege reduziert oder ganz aufgegeben. In Hessen leben etwa 78 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause und werden mehrheitlich von pflegenden Angehörigen umsorgt. In zwei Drittel aller Fälle übernehmen Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren die Pflege. 38 Prozent der Hauptpflegepersonen sind 70 Jahre und älter. Die Familien sind damit „Hessens größter Pflegedienst“, sagte Sudhoff. „Ohne ihr unschätzbares Engagement würde das System, gerade in einem Flächenstaat wie Hessen, zusammenbrechen.“
Belastung schlägt auch auf die Gesundheit
Dauerhafte Belastung und hoher Verantwortungsdruck schlagen aber auf die Gesundheit. Pflegende Angehörige sind vergleichsweise häufiger krank als andere. So leiden in Hessen mehr als die Hälfte (52 Prozent) von ihnen unter Rückenbeschwerden und bis zu 25 Prozent unter Depressionen. Bei Personen, die niemanden pflegen, trifft dies nur auf rund 48 Prozent beziehungsweise 21 Prozent zu.
Je kränker und belasteter Angehörige in der Pflege sind, desto eher informieren sie sich über Unterstützungsmöglichkeiten. So sind es bei guter Gesundheit rund 70 Prozent, die die Entlastung durch Kurzzeitpflege nicht kennen oder keinen Bedarf dafür haben. Ist die Gesundheit der pflegenden Angehörigen schlechter, sinkt dieser Prozentsatz auf 58 Prozent. Das sind immer noch zu viele. Hilfe sollte so früh wie möglich genutzt werden, denn dann wirkt sie am besten. Dazu sei nicht nur eine umfassende, frühzeitige Beratung durch Pflegeexperten wichtig. Auch ein niedrigschwelliger Zugang zu den Unterstützungsleistungen ist sehr hilfreich. „Dabei ist es wichtig, dass Pflegepersonen nicht nur für ihre Angehörigen, sondern auch für sich selbst Hilfe bekommen“, betont Sudhoff.
Hilfsangebote werden oft nicht genutzt
60 Prozent der pflegenden Angehörigen wünschen sich Unterstützung bei der Pflege. Dennoch wurden Kurzzeit-, Tagespflege- oder Betreuungs- und Haushaltshilfen eher selten in Anspruch genommen. "Die Menschen müssen zunächst Beratung erfahren, um sich in diesem Angebot zurechtzufinden“, erläutert Sudhoff. Die vergleichbar seltene Inanspruchnahme der Hilfs- und Informationsangebote wird von den Befragten hauptsächlich mit Zweifeln an der Qualität und den Kosten begründet. „Es ist alarmierend, dass fast jeder fünfte der pflegenden Angehörigen Zukunfts- und Existenzängste hat. Deshalb ist es auch richtig, dass die Bundesregierung die Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem jährlichen Entlastungsbudget für Pflegebedürftige zusammen-führen möchte“, sagt Sudhoff. Aus Sicht der Barmer sollten die Entlastungsleistungen von aktuell 125 Euro monatlich ebenfalls in ein jährliches Entlastungsbudget einbezogen werden. Damit könnten auch die Eigenanteile, zum Beispiel für einen Aufenthalt in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, deutlich reduziert werden. „Wir begrüßen zudem, dass eine weitere Erleichterung für Pflegebedürftige ab Pflegegrad drei realisiert wurde. Für Krankenfahrten zum Arzt ist für diese Patientengruppe keine Genehmigung der Krankenkasse mehr nötig. Ein wichtiger Schritt in Richtung Entbürokratisierung“, betont Sudhoff.
Leben in der eigenen häuslichen Umgebung bleibt der Favorit
„Im Alter die eigenen vier Wände genießen, das ist einer der größten Wünsche von vielen Seniorinnen und Senioren“, weiß auch Maren Kochbeck, Diplom-Pflegewirtin und Geschäftsführerin der Selbsthilfe Frankfurt. Meist stehen ihnen Angehörige oder Bekannte pflegend zur Seite. „Durchschnittlich beansprucht die Pflege täglich zwölf Stunden und dauert rund zwei Jahre. Für die Pflegenden ist dieser Einsatz oftmals eine hohe körperliche und psychische Belastung und stellt Betroffene vor große organisatorische Herausforderungen“, beschreibt Maren Kochbeck, das ihr bekannte Problem der Überforderung von pflegenden Angehörigen. Eine Selbsthilfegruppe kann für pflegende Angehörige eine wertvolle Unterstützung sein. „Im Kreis von Betroffenen fällt es leichter, über die täglichen Probleme und Herausforderungen zu reden. Es lassen sich auch mögliche Lösungsansätze finden“, so Kochbeck.
Selbsthilfe - eine gute Anlaufstelle
„Im Alter die eigenen vier Wände genießen, das ist einer der größten Wünsche von vielen Seniorinnen und Senioren“, weiß auch Maren Kochbeck, Diplom-Pflegewirtin und Geschäftsführerin der Selbsthilfe Frankfurt. Meist stehen ihnen Angehörige oder Bekannte pflegend zur Seite. „Durchschnittlich beansprucht die Pflege täglich zwölf Stunden und dauert rund zwei Jahre. Für die Pflegenden ist dieser Einsatz oftmals eine hohe körperliche und psychische Belastung und stellt Betroffene vor große organisatorische Herausforderungen“, beschreibt Maren Kochbeck, das ihr bekannte Problem der Überforderung von pflegenden Angehörigen. Eine Selbsthilfegruppe kann für pflegende Angehörige eine wertvolle Unterstützung sein. „Im Kreis von Betroffenen fällt es leichter über die täglichen Probleme und Herausforderungen zu reden aber es lassen sich auch mögliche Lösungsansätze finden“, so Kochbeck.