„Digitalisierung im Gesundheitswesen“ ist derzeit das Thema der TV-Sendereihe Medizin transparent (www.mediathek-hessen.de). An der Diskussion beteiligten sich Dr. Ralf-Norbert Bartelt (Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion), Norbert Sudhoff (Landesgeschäftsführer der Barmer Hessen), Urban Keller (Patientenvertreter), Dr. Stefan Pollmächer (Ärztegenossenschaft DOXs) und Dr. Christoph Claus (DOXs, stellvertretender Vorsitzender des Hausärzteverbandes des Bezirks Kassel, Mitglied der Vertreterversammlung der KV Hessen). Dr. Markus Schimmelpfennig moderierte die TV-Runde.
Seit zehn Jahren widmet sich das einstündige TV-Format gesundheitspolitischer Themen und stellt einen regionalen Bezug her. Aktuell sieht das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) zum 1. Januar 2021 die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) vor. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will ein „Digitalisierungsgesetz“ auf den Weg bringen, um digitale Anwendungen und Infrastruktur fördern. Spahn sagte hierzu unlängst in Berlin: „Der Patient von morgen wird keinen Arzt mehr ernst nehmen, der nur noch über Karteikarten arbeitet.“ Man müsse den digitalen Wandel mitgestalten statt ihn zu erleiden.
Die Datenhoheit liegt beim Patienten
Die TV- Debatte war zunächst von gegensätzlichen Positionen geprägt. Stefan Pollmächer führte aus, er sehe die ärztliche Verschwiegenheit in Gefahr. „Bis heute ist es so, dass Daten, die ein Patient dem Arzt anvertraut, in dessen Räumlichkeiten besonders geschützt verbleiben.“ Dass das Arzt-Patienten-Verhältnis ein ganz besonders ist, sahen alle Diskutanten so. Die Digitalisierung habe aber längst die Praxen erreicht. Bereits heute müssen z.B. Patientendaten zur Abrechnung bei der Kassenärztlichen Vereinigung die Praxis digital verlassen.
Norbert Sudhoff stellte heraus, dass die künftige elektronische Patientenakte hohe Sicherheitsstandards in erfüllen muss. Aber dann biete sie auch viele Chancen: „Die Daten, die wir haben, laufen noch nicht wirklich zusammen. Das ist in der Medikamentenversorgung mehr vonnöten denn je. Es gibt immer noch keine geeigneten Lösungen, um individuelle Polymedikationen auf Wechselwirkungen zu prüfen. Die Folge ist, dass in Deutschland mehr Menschen an Medikamentenwechselwirkungen sterben als im Straßenverkehr.“ Große Einigkeit bestand unter den Diskutanten hinsichtlich eines Ideals, das Dr. Ralf-Norbert Bartelt auf den Punkt brachte: „Die Datenhoheit liegt beim Patienten.“
Viel Skepsis aber auch Chancen durch Digitalisierung
Dr. Claus vertrat weiterhin ein Praxiskonzept, das Patientendaten und Internet überhaupt nicht zusammenbringen wird. Zur Einführung der elektronischen Patientenakte ergänzte er: „Ich mache nicht jeden Kram mit, der gerade hip ist.“ Aus Patientensicht hielt sich Urban Keller dagegen ergebnisoffen, merkte jedoch an, auch ihn überzeuge der derzeitige Standard von Datensicherheit noch nicht. Norbert Sudhoff nahm letztlich die Perspektive der Versicherten ein: „Datensicherheit muss bereits jetzt für eine Vielzahl bestehender digitaler Prozesse im Gesundheitswesen gewährleistet werden.“ Wenn aber alle Akteure zusammenarbeiten, um durch Transparenz und Information die notwendige Akzeptanz bei den Menschen zu schaffen sei dies ein demokratischer Prozess, der eine Chance verdient hätte, appellierte Sudhoff.
Kommentar
Das Gesundheitswesen ist ein Ort – vielleicht sogar der Ort – an dem eine Gesellschaft ihre kompliziertesten Dilemmata, Werte- und Schutzgüterabwägungen zu lösen hat. Zu diesen gehört derzeit auch die Digitalisierung. Gerade in Zeiten erhöhter politischer Aktivität gelingt dieser Prozess nur dann erfolgreich, wenn dem Gegenstand – durch Politik, Institutionen und Medien – auch ein Bildungsideal zugeordnet wird. Dem Bedürfnis der Zuschauer nach differenzierter Information ist Medizin transparent nur bedingt nachgekommen. Ein symmetrischeres Verhältnis aus Skepsis und Vertrauen wäre wünschenswert gewesen und hätte Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit gegeben, eine realistische Position zwischen Datenkatastrophe und Versorgungsverbesserung einzunehmen. Ein Experte für IT-Sicherheit hätte die Diskussionsrunde sicherlich sinnvoll ergänzt.
Chancen und Risiken als reine Polaritäten führen zu Verunsicherung. Absolute Datensicherheit gibt es nicht. Die Vorteile der Digitalisierung sind gegen ihre Nachteile abzuwägen. Transparenz und Information können jedoch Mut geben, sich diesem Dilemma zu stellen.
Dr. Carlo Thielmann, Barmer Pressestelle Landesvertretung Hessen