Frankfurt, 18. Dezember 2017 - Auch in Hessen fehlen Betreuungsplätze für junge Pflegebedürftige. Das geht aus dem neuen Pflegereport der Barmer hervor. Demnach gibt es laut einer repräsentativen Barmer-Umfrage bei Pflegebedürftigen unter 60 Jahren, beginnend mit dem frühen Kindesalter, bundesweit etwa 4.000 teilstationäre und rund 3.400 Kurzzeitplätze zu wenig. Zudem können junge Pflegebedürftige häufig nicht so wohnen, wie sie es bevorzugen, weil die entsprechenden Angebote fehlen. „Für junge Pflegebedürftige geht das Angebot an geeigneten Pflegeplätzen an den Bedürfnissen vorbei, Wunsch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander. Die Situation der jungen Pflegebedürftigen muss dringend verbessert werden. Hier sind Politik, Pflegekassen und Leistungserbringer gleichermaßen gefragt“, so Martin Till, Leiter Verträge in der Landesvertretung der Barmer in Hessen.
Junge Pflegebedürftige sind die Stiefkinder der Pflegeversicherung
Laut dem Barmer Pflegereport gab es im Jahr 2015 bundesweit insgesamt 386.000 Pflegebedürftige unter 60 Jahren, davon lebten etwa 28.000 in Hessen. Das entspricht knapp 13 Prozent der 224000 Pflegebedürftigen in den Pflegestufen I bis III. Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von älteren Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Insgesamt haben die jüngeren Pflegebedürftigen andere Krankheitsbilder und leider eher selten an Demenz oder den Folgen von Schlaganfällen. Nach der Analyse des Reports haben 35 Prozent Lähmungen, 23 Prozent Intelligenzminderungen, 24 Prozent eine Epilepsie und zehn Prozent das Down-Syndrom. „Junge Pflegebedürftige haben ganz andere Bedarfe als ältere. Tendenziell wollen junge Pflegebedürftige individueller und selbstbestimmter leben, als es ihnen bisher möglich ist. Dem müssen Einrichtungen künftig verstärkt Rechnung tragen“, so Martin Till. „Junge Pflegebedürftige sind leider noch die Stiefkinder der Pflegeversicherung.“
Zu wenig Angebote für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche
Gerade für pflegebedürftige Kinder und junge Erwachsene, immerhin waren in Hessen im Jahr 2015 rund 6500 Pflegebedürftige unter 20 Jahre alt, bleibt der Wunsch nach selbstbestimmten Wohnen häufig unerfüllt. Obwohl keine kleine Gruppe, werden junge Pflegebedürftige in Hessen fast kaum wahrgenommen und spielen in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle. Auch darin mag ein Grund liegen, warum geeignete Betreuungsplätze – insbesondere Wohngruppen, teilstationäre und Kurzzeitpflegeplätze – fehlen. Wie die eigens durchgeführte bundesweite Umfrage von mehr als 1.700 Versicherten ergeben hat, würden gern 35 Prozent der Zehn- bis 29-Jährigen in eine Wohngruppe ziehen. Jedoch hat etwa jeder zweite Pflegebedürftige in dieser Altersklasse angegeben, dass sich sein Wechsel in eine Wohngruppe, aber auch in ein Pflege- oder Behindertenheim, deswegen zerschlagen hat, weil kein Platz in der Einrichtung vorhanden war. „Die unerfüllten Wünsche nach einem selbstbestimmten und individuellen Wohnen vieler junger Pflegebedürftiger müssen für Politik, Bauwirtschaft und Interessensverbände ein Ansporn sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen“, sagt Till.
Wunsch nach Kurzzeitpflege ist kaum erfüllbar
Vor allem bei der Kurzzeitpflege gibt es Versorgungslücken. So nutzen derzeit laut Befragung nur neun Prozent der jungen Pflegebedürftigen mindestens einmal im Jahr die Kurzzeitpflege. Tatsächlich aber würden gern 19 Prozent auf dieses Angebot zugreifen. Damit ist der Wunsch nach Kurzzeitpflege um mehr als 100 Prozent höher, als er tatsächlich realisierbar ist. Eine weiter steigende Nachfrage könnte sich auch aus dem Pflegestärkungsgesetz II ergeben, das den auf Kurzzeitpflege anspruchsberechtigten Personenkreis seit vergangenem Jahr deutlich ausgeweitet hat. Defizite gibt es auch in der Tagespflege, die lediglich 13 Prozent in Anspruch nehmen, wobei 20 Prozent den Wunsch danach hegen. Ein wesentlicher Grund, warum teilstationäre und Kurzzeitpflege nicht wie gewünscht genutzt werden, ist der Mangel an entsprechenden Angeboten. „Die ergänzenden Pflegeleistungen, die die häusliche Pflege stärken sollen, würden insgesamt mehr genutzt werden, wenn alters- und erkrankungsspezifische Angebote gegeben wären“, meint Till.