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Barmer fordert Systemwechsel im Versorgungsbereich

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Wenn die Gesundheitsversorgung in Hamburg weiterhin auf hohem Niveau bleiben soll, muss sie angepasst werden. Die bisher stark in ambulant und stationär getrennte Versorgung muss besser miteinander verzahnt werden. Das ist die zentrale Forderung, die die Barmer vor dem Hintergrund erhebt, dass die Medizin sich deutlich schneller weiterentwickelt hat als die Strukturen im Versorgungsbereich. „Patienten brauchen mehr Miteinander statt Nebeneinander. Die Strukturen müssen sich an den Patienten ausrichten und nicht umgekehrt“, sagt Frank Liedtke, Landesgeschäftsführer der Barmer in Hamburg.

Schaubild Sektorenübergreifende Versorgung


An erster Stelle steht dabei eine aufeinander abgestimmte Bedarfsanalyse. Dies bedeutet, dass die Krankenhausplanung – als originäre Aufgabe des Landes – stärker als bisher die ambulanten Leistungsmöglichkeiten im Einzugsbereich der Kliniken berücksichtigen muss. Der Fortschritt erlaubt bereits heute, viele ehemals im Krankenhaus verorteten Leistungen ambulant zu erbringen. Das ambulante Potenzial wird im internationalen Vergleich nicht ausgeschöpft. Das langfristige Ziel muss deshalb eine integrierte Versorgungsplanung für alle medizinischen Angebote sein.

Kapazitätsplanung durch Leistungsplanung ersetzen

Grundlage für eine sektorenübergreifende Versorgung ist die Abkehr von der getrennten Planung ambulanter und stationärer Leistungen in zwei nebeneinander organisierten Sektoren. Eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung löst sich von der reinen Kapazitätsplanung, die zumeist nach Arztsitzen gemäß Bedarfsplanungsrichtlinie und nach Krankenhausbetten auf Basis krankenhaus-planerischer Instrumente vorgenommen wird.

Vor der Bestimmung von Behandlungskapazitäten sollte der tatsächliche Bedarf an medizinischen Leistungen ermittelt werden. Um bestehende Über-, Unter- und Fehlversorgung sowie medizinisch nicht erklärbare Versorgungsunterschiede zu reduzieren, sollten die Leistungsdaten sowohl aus dem ambulanten als auch aus dem stationären Bereich in einen bundesweiten Datensatz einfließen. Daraus könnten dann Referenzwerte für die Bestimmung der Kapazitäten in den Ländern ermittelt werden.

Sektorenübergreifendes Vergütungssystem schaffen

Derzeit ist die Vergütung einer medizinischen Leistung davon abhängig, wo sie erbracht wurde – ob in einer Arztpraxis oder in einem Krankenhaus. „Es besteht ein nicht unerhebliches Gefälle in der Vergütung von ambulanter und stationärer Versorgung. Für Leistungen, die sowohl von niedergelassenen Ärzten als auch von Krankenhäusern erbracht werden können, muss es ein einheitliches Vergütungssystem geben“, fordert Frank Liedtke.

Sektorenübergreifende Versorgung am Beispiel von RECOVER

Ein Beispiel für eine fehlende sektorenübergreifende Zusammenarbeit ist die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen. Einer relativ hohen Zahl von Betroffenen (ca. 20 Prozent der Bevölkerung) steht eine nicht optimale medizinische Versorgung gegenüber: Nicht jede psychische Erkrankung wird erkannt, es gibt lange Wartezeiten auf Therapieplätze und in der Folge werden u. a. schwere psychische Erkrankungen weniger geheilt als dass sie voranschreiten. Dies führt zu einer hohen Unzufriedenheit bei Patienten und Angehörigen.

Vor allem fehlt es an klaren Vereinbarungen für berufsgruppenübergreifende Versorgungspfade, einschließlich Diagnostik und Indikationsstellung. Bislang gibt es in der Regelversorgung keine Akutbehandlung im häuslichen Umfeld, die im Rahmen eines Behandlungsplans für Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden psychischen Störungen sinnvoll sein kann.

Mit dem Projekt „RECOVER“ soll die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen verbessert werden. Unter Führung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und in Kooperation mit der Barmer und weiteren Partnern ist die Umsetzung in Planung.

Beispielhaft für Deutschland soll ein Modell der sektorenübergreifend-koordinierten, schweregradgestuften, evidenzbasierten Versorgung psychischer Erkrankungen implementiert und erprobt werden. Es wird sowohl in der großstädtischen Region Hamburg als auch in einer Transferphase in der ländlich-kleinstädtischen Region des Kreises Steinburg im schleswig-holsteinischen Itzehoe durchgeführt.

Das übergreifende Ziel besteht darin, im Rahmen der Regelversorgung und bestehender Selektivverträge die Behandlungsqualität und Effizienz zu verbessern. Es wird eine optimierte Versorgung für Patienten mit psychischen Erkrankungen unterschiedlicher Schweregrade und deren Angehörigen angestrebt, um eine höhere Chance auf eine schnelle und umfassende Gesundung, engl. RECOVERY, dem Namen des Projektes, bzw. eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen.