Die Corona-Pandemie verzögerte die Senatsbildung nach der Wahl der Hamburgischen Bürgerschaft im Februar 2020. Nun hat die 22. Legislaturperiode begonnen. Die Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft und der Präsident der Hamburger Ärztekammer teilen mit uns ihre Einschätzung des Koalitionsvertrags und zeigen die Chancen und Risiken der Aufteilung der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) auf.
1. Es hat lange gedauert bis der Koalitionsvertrag zwischen SPD und GRÜNEN zu Papier gebracht wurde. Wie bewerten Sie ihn? Wo finden Sie Ihre Anliegen wieder und an welcher Stelle sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft: Die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser liegt in der Verantwortung Hamburgs. Dass der Koalitionsvertrag die Investitionsfinanzierung als wichtige Aufgabe benennt, wertschätzen wir sehr. Es genügt jedoch nicht, das Investitionsvolumen konstant zu halten. Die Hamburger Krankenhäuser haben einen Investitionsbedarf von min. 175 Millionen Euro pro Jahr. Dieser Investitionsbedarf muss gedeckt werden. Zusätzliche Finanzquellen, die einer Kofinanzierung des Landes Hamburg bedürfen, wie der Krankenhausstrukturfonds oder das Konjunkturprogramm des Bundes müssen ebenfalls für die Krankenhäuser zugänglich gemacht werden. Wir freuen uns über tatkräftige Unterstützung unserer neuen Landesbehörde.
Für die Krankenhäuser entscheidende Regelungen werden oft auch auf der Bundesebene erarbeitet. Die seit Jahren überfällige Refinanzierung der Tarifentwicklung des gesamten Krankenhauspersonals muss bundesgesetzlich dringend im Finanzierungssystem verankert werden. Wir hoffen sehr, dass Hamburg uns über die Gesundheitsminister/innen der Länder, die Länder selbst und den Bundesrat bei einer Reform der Krankenhausfinanzierung in dieser Richtung unterstützt. Wir stehen als Ansprechpartner hier sehr gerne zur Verfügung.
Bei der dringend notwendigen Entbürokratisierung im Krankenhausbereich erwarten wir tatkräftige Hilfe unserer neuen Behörde. Hamburg darf keinesfalls durch zusätzliche Vorschriften die Dokumentations- und Kontrollflut in den Krankenhäusern noch weiter vermehren. Außerdem ist zu beachten, dass Hamburg keine Sonderreglungen für Krankenhäuser erlässt, für die keine Refinanzierungsmöglichkeit besteht. Hamburg rennt in unseren Krankenhäusern offene Türen ein, wenn Qualitätsaspekte und die Patientensicherheit gestärkt werden sollen. Wir wünschen uns eine Weiterentwicklung in Richtung auf eine stärkere Ergebnisqualitätsorientierung. Bezüglich der Ankündigung eines verpflichtenden Einsatzes von Stationsapothekern behalten wir uns die kritische Prüfung im Hinblick auf Finanzierung und die konkrete Umsetzbarkeit vor.
Die Absicht, integrierte Notfallzentren an Krankenhäusern einrichten zu wollen, begrüßen wir dem Grunde nach. Nach unserer Ansicht sollten alle Krankenhäuser, die mindestens die Voraussetzungen der Basisnotfallversorgung gemäß G-BA erfüllen, die Berechtigung haben, ein INZ oder eine vergleichbare Organisationseinheit ohne finanzielle Nachteile betreiben zu können. Die Krankenhäuser sind für die Aufrechterhaltung der ambulanten Notfallversorgung unverzichtbar.
Zum Beschwerdemanagement in Krankenhäusern sehen wir keinen Regelungsbedarf, da die Verpflichtung sowohl bundes- als auch landesgesetzlich bereits besteht. Zudem haben die Hamburger Krankenhäuser 15 Jahre lang freiwillig und bundesweit vorbildlich mit ihrer Hamburger Erklärung das Beschwerdemanagement vorangetrieben.
Dr. Pedram Emami, MBA, Präsident der Ärztekammer Hamburg: Der Hamburger Koalitionsvertrag beinhaltet vieles zum Thema Gesundheitswesen. Besonders erfreulich ist aus unserer Sicht natürlich die vorgesehene Änderung des Heilberufekammergesetzes, die den wirtschaftlichen Einfluss in medizinischen Versorgungszentren (MVZ) auf medizinische Entscheidungsfindungen im Sinne des Patientenschutzes minimieren soll. Wir beobachten schon lange mit Sorge die Entwicklungen in diesem Bereich. Gewerbliche Anbieter/innen wollen lukrative Geschäfte. Dabei haben sie nicht unbedingt die Patientinnen und Patienten im Blick. Angestellte Ärztinnen und Ärzte sollen dann zum Teil Dinge tun, die sie medizinisch und ethisch nicht verantworten können. Und am Ende werden nie diejenigen belangt, die die Vorgaben gemacht haben.
Wir begrüßen auch den Ansatz, die IT-Sicherheit in den Kliniken weiter zu verbessern und den Fokus auf eine bessere Datenvernetzung zwischen den Leistungserbringern zu richten. Personalstandards in Kliniken vor allem auch im Bereich der Pflege sicherzustellen, ist absolut sinnvoll. Das „wie“ ist hier allerdings die große Frage. Personaluntergrenzen haben schon dazu geführt, dass am Ende weniger Personal da ist als vorher.
Eine Lehre aus der Corona-Pandemie scheinen die Koalitionäre schon gezogen zu haben: Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) soll gestärkt werden. Ich denke, es hat nun auch wirklich jede und jeder in den letzten Monaten verstanden, warum wir einen starken ÖGD brauchen. Für mich steht außer Frage, dass im ÖGD tätige Ärztinnen und Ärzte auch nach Ärztetarif bezahlt werden müssen.
Kritisch sehen wir allerdings die Zusammenführung der Notfallnummern 112 und 116117. Die KV Hamburg hat funktionierende Strukturen aufgebaut und koordiniert über den Arztruf 116117 gemeinsam mit den fahrenden Ärztinnen und Ärzten den Notdienst. Wir sind gespannt, was sich mit einer Zusammenführung für Patientinnen und Patienten verbessern soll. Eine Sache ist mit uns aber ganz sicherlich nicht zu machen: Die Idee, die ambulante Versorgung zu verbessern, indem Arztsitze in der Stadt anders verteilt werden. Das ist aus Sicht der Selbstverwaltung nicht hinnehmbar. Natürlich braucht es an der einen oder anderen Stelle Kurskorrekturen, dafür gibt es Sonderbedarfsregelungen im KV-System.
Alle weiteren Themen, wie Impfungen, dem Aktionsplan „Gesunde Geburt“, der medizinischen Versorgung Obdachloser oder der Stärkung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, liegen uns auch am Herzen. Hier werden wir nach Kräften mit unserer Expertise unterstützen. Wir teilen im Übrigen auch die Auffassung, dass der § 219a aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden muss.
2. Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) wurde aufgeteilt und der Bereich Gesundheit in die neue Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (BAGSFI) aufgenommen. Welche Chancen und Risiken sehen Sie darin?
Dr. Claudia Brase: Der Integration des Gesundheitsressorts in die neue Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (BAGSFI) sehen wir mit großer Zuversicht entgegen. Wir erwarten zum einen, dass der Krankenhausbereich als Rückgrat der medizinischen Versorgung den angemessenen Rückhalt und die notwendige Unterstützung in der neuen Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration erhält. Zum anderen gibt es verschiedenste Themen, die sowohl Krankenhäuser als auch die Sozialbehörde betreffen. Für diese Themen erhoffen wir uns zukünftig leichter herzustellende Problemlösungen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Frau Senatorin Dr. Leonhard, Staatsrätin Schlotzhauer und dem bewährten Team der bisherigen Gesundheitsbehörde.
Dr. Pedram Emami: Die BGV hat in der Vergangenheit sehr gut funktioniert. Die Gesundheitsbehörde jetzt aufzuspalten und den Bereich Gesundheit in die Sozialbehörde zu integrieren, halten wir in diesen Zeiten zumindest für risikobehaftet. Kaum haben wir den Peak der Pandemie überstanden, schon setzt ein Umstrukturierungsprozess ein, bei dem die Einrichtungen möglicherweise mehr mit sich selbst als mit den Gesundheitsthemen beschäftigt sind. Darüber hinaus entsteht ausgerechnet jetzt der Eindruck, als spiele die Gesundheit politisch eine untergeordnete Rolle und bräuchte kein besonderes Augenmerk. Senatorin Melanie Leonhard muss zeigen, welchen Stellenwert Gesundheit in ihrer Mega-Behörde ab sofort haben soll – vor dem Hintergrund der Pandemie eine große Herausforderung. Wir wünschen ihr und der neuen Staatsrätin Melanie Schlotzauer natürlich eine glückliche Hand bei ihren Entscheidungen und stehen, wenn gewünscht, gern unterstützend zur Verfügung. So manches Mal haben Neuerungen ja auch etwas unerwartet Positives zur Folge. Wir können uns gut vorstellen, dass es zum Beispiel im Bereich der medizinischen Versorgung von obdachlosen oder geflüchteten Menschen hilfreich sein wird, dass ab jetzt Sozial- und Gesundheitsthemen von einer Behörde bearbeitet werden. Alles Weitere wird die nächste Zeit zeigen.