Lübeck, 11. Oktober 2017 - Ob Pflegeroboter, Operationsroboter, Trainingsroboter – viele derzeit noch von Menschen zu erbringenden Leistungen übernehmen zunehmend digitale Assistenten. Doch die Patienten erwarten mehr vom Gesundheitssystem, in dem noch vieles analog läuft. Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereiches Gesundheit am RWI-Leibnitz-Instituts wagte beim 6. Norddeutschen Dialog der Barmer, der gestern in Lübeck stattfand, einen visionären Ausblick und stellte zugleich fest, dass „man im deutschen Gesundheitswesen eher auf ärztliche Rezepte aus Papier setzt“. Patienten sind aber aus seiner Sicht digitalen Prozessen und Produkten gegenüber aufgeschlossen und fordern sie von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenversicherern ein. Sehr plastisch schilderte er ein Szenario für die Gesundheitsversorgung 2030: „Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient funktioniert ganz selbstverständlich online. Arzneimittel werden entweder per Drohne innerhalb von zwei Stunden geliefert oder gleich zuhause im 3D-Drucker hergestellt.“
Medikamente aus dem Drucker
Dr. Julian Quodbach vom Institut für Pharmazeutische Technologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zeigte in seinem Vortrag auf, dass die Fiktion der Arzneimittelproduktion im 3D-Drucker von der „Science“ schon weit entwickelt worden ist. „Der 3D-Druck bietet faszinierende Möglichkeiten für die patientenindividuelle Pharmakotherapie. Sei es eine genaue Dosierung des Wirkstoffs oder eine präzise Beeinflussung des Freisetzungsprofils, wie sie bisher unmöglich waren. Diese Technik zeigt auf, ich welche Richtung sich der Arzneimittelmarkt in den nächsten Jahren bewegen könnte.“ Den Arzneimitteldruck zuhause werde es allerdings zunächst nicht geben können.
Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen
Mit den praktischen Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz beschäftigte sich die Ärztin Mascha Minou Lentz, die eng mit IBM Watson Health zusammenarbeitet. Kognitive Systeme die verstehen, begründen und lernen, können den Menschen helfen, ihr Wissen, ihre Expertise und Produktivität zu erweitern und zu verbessern. Dabei sind für sie die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz sehr breit gefächert. Es profitieren fast alle Akteure im Gesundheitswesen. Mascha Minou Lentz machte dies an einem Beispiel deutlich. „Ein niedergelassener Allgemeinmediziner muss immer auf aktuellsten Stand in der Medizin sein. Dafür fehlt ihm aber schlichtweg die Zeit, wenn er sich vernünftig um seine Patienten kümmern will. Kognitive Technologien können Ärzten dabei helfen, schneller auf Wissen zuzugreifen und dieses in ihr Behandlungskonzept einzubeziehen.“
Podiumsdiskussion drehte sich um digitale Steinzeit
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben den Referenten auch der Leiter der Klinikapotheke des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, Dr. Michael Baehr, der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Dr. Franz Bartmann, und der Landesgeschäftsführer der Barmer aus Hamburg Frank Liedtke, teil. Dort wurde unter anderem deutlich, dass die Patienten mit der Nutzung ihrer persönlichen, beispielsweise in Apps gesammelten Daten weiter sind als das Gesundheitssystem in Deutschland. Patienten kämen mit Ihren elektronischen Daten zum Arzt, diese könnten sie aber nicht verarbeiten und schickten Befunde nach der Behandlung per Fax.
Flächendeckende Telematikinfrastruktur als alleinige Kommunikations-Plattform
Frank Liedtke appellierte an die Akteure im Gesundheitswesen, sich auf eine flächendeckende Telematikinfrastruktur zu verständigen und an die Politik, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. „Statt Wildwuchs und Parallelstrukturen brauchen wir eine alleinige und für alle verbindliche Kommunikationsplattform. Entscheidend ist ein schneller bundesweiter und vor allen Dingen sektorübergreifender Ausbau.“