Hamburg, 14. Juni 2021 – Mindestens 450.000 Kinder in Deutschland haben sogenannte Kreidezähne, die behandelt werden müssen. In Hamburg entspricht dies fast sechs Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen, die unter gelblich oder bräunlich verfärbten, porösen und beim Putzen schmerzenden Zähnen leiden – im Bundesdurchschnitt sind es sogar rund acht Prozent. Das geht aus dem aktuellen Zahnreport der Barmer hervor. Den Ergebnissen zufolge gibt es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Medikamenten und der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH), umgangssprachlich Kreidezähne genannt. „Kinder haben häufiger Kreidezähne, wenn sie in den ersten vier Lebensjahren bestimmte Antibiotika erhalten haben. Vor diesem Hintergrund muss erneut auf deren verantwortungsvollen und indikationsgerechten Einsatz hingewiesen werden. Antibiotika sind ohne jeden Zweifel segensreich. Doch die Prämisse lautet auch hier, so viel wie nötig und so wenig wie möglich“, sagte Frank Liedtke, der Landesgeschäftsführer der Barmer in Hamburg. Bisher sei über die Entstehung der Kreidezähne nur wenig bekannt. Das mache sie besonders tückisch. Die Ernährung habe auf deren Entstehung wahrscheinlich keinen Einfluss. Regelmäßiges Zähneputzen könne Kreidezähne nicht verhindern, da die Zähne bereits geschädigt durchbrechen. Somit sei Prävention nahezu unmöglich. Für die Eltern betroffener Kinder sei das eine wichtige Botschaft. Sie haben nichts falsch gemacht!
Zusammenhang von Antibiotika und Kreidezähnen
Über mögliche Ursachen der Kreidezähne werde viel diskutiert, und es bestünden verschiedene Hypothesen dazu, so Liedtke weiter. Hier werde auch das mögliche Zusammenwirken von Arzneimitteln und Kreidezähnen diskutiert. Der Zahnreport habe vor diesem Hintergrund unterschiedliche Gruppen von Medikamentenverordnungen bei Kindern mit und ohne Kreidezähnen untersucht. Dabei seien auch unterschiedliche Antibiotika geprüft worden, die etwa bei Atem- oder Harnwegsinfekten zum Einsatz kämen. Hier zeige sich, dass Kinder mit Kreidezähnen in den ersten vier Lebensjahren häufig angewendete Antibiotika bis zu etwa zehn Prozent mehr verschrieben bekämen als Gleichaltrige ohne Kreidezähne. „Die Verordnung von Antibiotika steht in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Auftreten von Kreidezähnen. Allerdings ist noch unklar, wie dieses Zusammenwirken genau funktioniert. Hier sind weitere Untersuchungen erforderlich“, sagte Liedtke. Bei der Antibiotikavergabe sei man bereits auf einem guten Weg. So habe sich die verordnete Antibiotikagabe bei Kindern bis fünf Jahren zwischen den Jahren 2005 und 2019 bundesweit mehr als halbiert. Im vergangenen Jahr sei die Menge noch einmal deutlich gesunken, wohl auch deswegen, weil die Abstands- und Hygieneregeln während der Corona-Pandemie zu weniger sonstigen Infektionen geführt hätten.
Mädchen haben häufiger Kreidezähne als Jungen
Neben der Ursachenforschung hat der Barmer-Zahnreport eine Bestandsaufnahme zum Phänomen der Kreidezähne gemacht. Betroffen sind demnach häufiger Mädchen als Jungen. Zwischen den Jahren 2012 bis 2019 hatten im Bundesdurchschnitt 9,1 Prozent der Mädchen und 7,6 Prozent der Jungen eine so schwere Form der Kreidezähne, dass sie in zahnärztlicher Behandlung waren. „Obwohl Kreidezähne neben Karies die häufigste Zahnerkrankung bei Kindern sind, steht die Forschung dazu noch am Anfang. Wir haben in unseren Analysen verschiedene Zusammenhänge gefunden. Die zugrundeliegenden Mechanismen und Kausalitäten können mit Abrechnungsdaten allein allerdings nicht aufgeklärt werden. Dazu bedarf es weiterer Forschung. In Kenntnis der Ursachen könnten zukünftig dann auch endlich präventive Maßnahmen möglich werden“, sagte Prof. Dr. Michael Walter, Autor des Barmer-Zahnreports und Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden.
Massive regionale Unterschiede beim Auftreten von Kreidezähnen
Den Ergebnissen des Reports zufolge gibt es beim Auftreten von Kreidezähnen nicht nur soziodemographische, sondern auch große regionale Unterschiede. Bundesweit schwanken die Betroffenenraten bei Kindern auf Stadt- und Kreisebene demnach zwischen drei und 15 Prozent. Auch auf Bundeslandebene sind die Unterschiede noch beträchtlich. Sie reichen von den 5,5 Prozent in Hamburg bis hin zu 10,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen. „Die deutlichen regionalen Unterschiede beim Auftreten von Kreidezähnen können wir noch nicht plausibel erklären. Hier sollte man nicht überinterpretieren“, sagte Walter.
Die kompletten Presseunterlagen inklusive abdruckfähiger Grafiken stehen zum Download bereit unter: www.barmer.de/zahnreport