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Patientenversorgung sektorenübergreifend ausrichten

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Sie ist eines der größten strukturellen Defizite des deutschen Gesundheitssystems: Die Grenze zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung. Aktuell funktionieren die einzelnen Versorgungsbereiche – ob ambulante und stationäre Versorgung, Reha oder Pflege – weitgehend nach ihrer eigenen sektoralen Logik. Getrennte Bedarfsplanungen und verschiedene Abrechnungssysteme behindern eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Versorgung der Patienten und Patientinnen. Oft kommt es deshalb trotz der hohen Arztdichte in Hamburg zu langen Wartezeiten.

Das Gesundheitssystem sollte sich stärker an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientieren. Die Barmer setzt sich dafür ein, dass die unterschiedlichen Bereiche künftig besser verzahnt werden, damit den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern auch in Zukunft eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau zur Verfügung steht.

Deutschland gehört international zu den Schlusslichtern in Sachen Ambulantisierung. Viele kleinere Eingriffe könnten aufgrund des medizinischen Fortschritts ohne Qualitätsverlust ambulant erbracht werden. In Hamburg könnte mindestens jede fünfte Operation ambulant statt stationär erfolgen. Damit würden unnötige Krankenhausaufenthalte für Patientinnen und Patienten vermieden, und es wäre zudem ressourcenschonend für das Gesundheitssystem. Allerdings bremst die ungleiche Vergütung diese wünschenswerte Entwicklung aus. 

Klare Strukturen für die Versorgungsplanung

Wenn wir zu einer sektorenübergreifenden Versorgung kommen wollen, müssen sich die Strukturen grundlegend ändern. Das erfordert einen entschlossenen politischen Willen. Nach wie vor liegen einige der wichtigsten Hebel hierfür auf Bundesebene. Dazu zählen unter anderem die Schaffung bundeseinheitlicher Rahmenbedingungen zur gemeinsamen Planung und Vergütung sektorenunabhängig erbrachter Leistungen sowie die Ermittlung von Versorgungsbedarfen. Nur auf deren Grundlage kann eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung auf regionaler Ebene durchgeführt werden.

Bandagiertes Bein

Eine funktionierende sektorenübergreifende Versorgung kann zudem nur auf Basis einer neu strukturierten Krankenhauslandschaft gelingen. Dies hat der Gesetzgeber mit dem 2024 beschlossenen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) angestoßen. Hier ist nicht nur der Bund, sondern auch die Hansestadt gefragt. Diese muss sich gezielt in die Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen einbringen, damit stationäre, ambulante sowie medizinisch-pflegerische Leistungen im Sinne einer zukunftsfesten Versorgung miteinander verzahnt werden können.

Der Bündelung verschiedenster Akteure an einem Ort sowie die Vernetzung weiterer Akteure wie Praxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen müssen künftig zum Standard werden. Die lokalen Gesundheitszentren, die von der Stadt gefördert werden, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Die Poliklinik Veddel hat als eine der ersten gezeigt, dass die Etablierung interprofessioneller Primärversorgungszentren im ambulanten Gesundheitswesen in Deutschland möglich ist. Dieser Weg muss konsequent fortgesetzt werden, denn nur durch diese Vernetzung des Gesundheitswesens gelingt es, die vorhandenen Ressourcen zu bündeln und effizient zum Wohle der Patientinnen und Patienten einzusetzen.

Anreize zur Niederlassung schaffen

Eine weitere Herausforderung stellt die wohnortnahe medizinische Versorgung aller Hamburger und Hamburgerinnen dar. Obwohl die Stadt über eine hohe Arztdichte verfügt, ist es für viele Menschen schwierig, eine gute, wohnortnahe Versorgung zu erhalten. Viele Ärztinnen und Ärzte sind wegen einer bestimmten Spezialisierung nicht in dem Bereich tätig, für den sie eigentlich zugelassen worden sind. Ein Beispiel sind Kinderärztinnen und Kinderärzte, die nicht mehr in der Basisversorgung tätig sind, sondern sich etwa auf Kinderkardiologie spezialisiert haben. Auch Medizinerinnen und Mediziner, die über einen vollen Kassenarztsitz verfügen, aber nicht in Vollzeit tätig sind, verschärfen das Problem. Hier kommt die ärztliche Bedarfsplanung an ihre Grenzen. Es braucht mehr Transparenz sowie eine konsequentere Durchsetzung der Vorgaben, damit die Ärztinnen und Ärzte ihrem zugeteilten Versorgungsauftrag gerecht werden.

Auch wenn die ärztliche Zulassung in der Zuständigkeit der Selbstverwaltung liegt, kann die Stadt Hamburg Anreize setzen, damit sich mehr Medizinerinnen und Mediziner in einkommensschwächeren Stadtteilen niederlassen. Oft fehlen schlicht passende, bezahlbare Praxisräume. Hier könnten Immobilien umgewidmet werden, um die Niederlassung zu fördern. Angesichts teurer Mieten in der Stadt wäre es zudem hilfreich, wenn in stadteigenen Bestandsimmobilien und Neubauten günstige Praxisräume angeboten würden. Am Beispiel der Praxisklinik Mümmelmannsberg, deren Ärztinnen und Ärzte aktuell in einem maroden Gebäude arbeiten und die keine geeignete Alternative finden, sieht man den dringenden Handlungsbedarf.

Neue Wege beschreiten – Hürden für innovative Ansätze senken

Auch neue Ideen und innovative Lösungsansätze bieten Chancen – insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Dazu gehören etwa die Telemedizin, eine interprofessionelle Kooperation der medizinischen Berufsgruppen sowie die stärkere Einbindung medizinischer Fachkräfte in delegierbare heilkundliche Aufgaben.

Als Barmer unterstützen wir den Gedanken, potenzielle Pilotprojekte zur Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung zu fördern. Um innovative Konzepte zu verwirklichen, stellt insbesondere der Innovationsfonds Mittel zur Verfügung, um neue Strukturen der sektorenübergreifenden Versorgung von der Theorie in die Praxis zu überführen. 

Mit Blick auf die vernetzte und sektorenübergreifende Versorgung der Zukunft müssen darüber hinaus auch bundeslandübergreifende Ansätze in den Blick genommen werden. Gerade bei einer regionalen Bedarfsplanung sollten einzelne Bundesländer in speziellen Fällen zukünftig gemeinsam an einem Strang ziehen. Das ist insbesondere für Hamburg relevant, da die Hansestadt als Metropolregion eine große Sogwirkung auf Patienten und Patientinnen aus dem Umland ausübt.

Forderungen

  • Die rechtlichen Grundlagen zur Verwirklichung einer sektorenübergreifenden Versorgung in Hamburg müssen geschaffen bzw. angepasst werden.
  • Es müssen Anreize zur Niederlassung ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte in sozial schwachen Stadtteilen gesetzt werden.
  • Pilotprojekte zur Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung sollten gefördert werden.
  • Eine länderübergreifende Versorgungsplanung sollte geprüft werden.