Podiumsdikussion auf der Pflegefachveranstaltung der BARMER

ZITA World Campus Berlin gGmbH Fachveranstaltung zur Pflege: BARMER bringt Politik und Praxis in den Austausch

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„Pflege im Wandel – Impulse für die Zukunft“ lautete die Veranstaltung zu der die Barmer Berlin am 28. März in die Zitadelle Spandau eingeladen hatte. Der Barmer ging es bei der Veranstaltung um zweierlei, wie die Gastgeber Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg, und Gordon Stockmann, Geschäftsführer der Barmer Berlin, in ihrer Begrüßung betonten: um Information und Vernetzung. Expertinnen und Experten aus Politik und Praxis sollten miteinander ins Gespräch kommen, sich über Best-Practices austauschen und über die notwendigen Reformen auf Bundes- und Landesebene diskutieren. Damit knüpfte die Barmer an das ZITA-Forum „Zukunft Fachkräfte. Zukunft Pflege. Zukunft ZITA“ an, zu dem im November 2024, Gabriela Fliegel, Vorstandsvorsitzende der Vereinigung Wirtschaftshof Spandau e. V., eingeladen hatte.

Schölkopf: „Wenn eingeschlagener Weg beibehalten wird, ist schon viel erreicht“

Wo die Herausforderungen liegen und welchen Weg die Koalitionäre mit Blick auf die aktuellen Verhandlungen weitergehen sollten, stellte Dr. Martin Schöllkopf, Leiter der Abteilung 4 Pflegeversicherung und -stärkung im Bundesministerium für Gesundheit, in seinem Eingangsstatement dar. „Trotz Sondervermögen bleiben die Rahmenbedingungen in der Pflege die gleichen“, dämpfte er die Erwartungen. Jährlich würden 300.000 bis 400.000 Menschen in Deutschland pflegebedürftig werden. Der Zuwachs an Pflegebedürftigen liege nicht nur an der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017, sondern auch an der Tatsache, dass die Menschen immer länger Leistungen aus der Pflegeversicherung bezögen, wie aus dem aktuellen Barmer-Pflegereport hervorgeht. Zwar sei auch die Zahl der Pflegekräfte in Deutschland gestiegen, von rund 750.000 im Jahr 2007 auf 1,26 Mio. im Jahr 2023, jedoch seien 14 Prozent über 60 und 45 Prozent über 50 Jahre alt. Um mehr Fachkräfte in die Pflege zu bringen, sei vieles unternommen worden, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen: Kompetenzen wurden erweitert, die Bezahlung verbessert und mehr Stellen geschaffen. Dadurch seien allerdings die Kosten gestiegen. Zudem seien Anwerbungsprogramme zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte gestartet worden. Den neuen Koalitionären empfahl Schölkopf die drei Gesetzentwürfe, die das Bundesgesundheitsministerium bereits in unterschiedlichen Stadien ausgearbeitet hat, zu nutzen: Das Pflegefachassistenzgesetz sei schon in der ersten Lesung im Bundestag gewesen und könne einfach weiterberaten werden. Wenn dann auch noch an der Verabschiedung des Pflegekompetenzgesetzes und des APN-Gesetztes weitergearbeitet werde, sei man auf dem richtigen Weg und habe viel erreicht.

Vivantes setzt auf Qualifizierungsprogramm für Berufseinsteigerinnen und –einsteiger 

Auch ohne neue Gesetze gehen viele Einrichtungen schon jetzt neue Wege, um mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Das Vivantes-Klinikum Spandau hat ein eigenes Qualifizierungsprogramm für den Einstieg in den Pflegeberuf entwickelt, das Praxisanleiterin Isabell Reinicke im Anschluss vorstellte: „Es gibt immer weniger geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Hauptprobleme sind niedriges Bildungsniveau, mangelhafte Deutschkenntnisse und falsche Vorstellungen vom Berufsleben, weil vierwöchige Praktika zu kurz für einen Eindruck sind,“ sagte Reinicke. Man habe sich deshalb entschlossen, für 20 Kandidatinnen und Kandidaten eine sechsmonatige Einstiegsqualifizierung anzubieten. Diese Berufsvorbereitung wird gemeinsam von Vivantes und der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Praktische Einsätze auf verschiedenen Stationen, bei denen vor allem die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten trainiert wird, wechseln sich mit Theorieeinheiten ab. Die geringe Teilnehmerzahl ermögliche eine individuelle Förderung, bei der zum Beispiel auch auf Lernschwächen eingegangen werde, so Reinicke. Das Konzept sei aufgegangen. Von den 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Pilotjahres 2023/24 hätten sechs eine Ausbildung zur Pflegefachassistentin bzw. -assistenten begonnen eine Person zur Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann.

Pflegebotschafter und Pflegebotschafterinnen der BKG besuchen Schulen

Damit Schülerinnen und Schüler überhaupt Informationen über Pflegeberufe erhalten, entsendet die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) seit Mai 2024 Pflegebotschafterinnen und Pflegebotschafter an Berliner Schulen. „Jährlich absolvieren rund 30.000 Schülerinnen und Schüler ein Praktikum, aber nur wenige in der Pflege“, sagte Julia Ghadjar, die für die BKG die Kampagne #PflegejetztBerlin koordiniert und auf der Barmer-Veranstaltung das Botschafterprogramm vorstellte. Das Erfolgsgeheimnis des Projekts: die acht Pflegebotschafterinnen und –botschafter, die aus unterschiedlichen Krankenhäuser kommen, sind nur etwas älter als die Schülerinnen und Schülern. Sie sprechen mit den Jugendlichen auf Augenhöhe über Berufsalltag und Ausbildung. Sie machen Pflege im Klassenzimmer anfassbar, in dem sie zeigen, wie man mit einem Blutdruckmessgerät umgeht oder die Sauerstoffsättigung im Blut feststellt. Dieser Peer-To-Peer-Ansatz scheint zu funktionieren. Nach einem Besuch der Pflegebotschafterinnen und Botschafter könnten sich laut Ghadjar rund 20 Prozent der Klasse ein Praktikum in der Pflege vorstellen.

Leyh: „Was sind 10 Minuten in der Sprechstunde gegen einen Hausbesuch?“

Nach der Gewinnung von Pflegekräften ging es a um den richtigen Einsatz von Pflegekräften. Was für innovativen Versorgungsmodelle entstehen können, wenn gute Rahmenbedingungen auf veränderungsfreudige Menschen stoßen, ist in der Stadt Luckau zu besichtigen. Von dort waren Stephanie Günther, Fachassistentin im Bereich Pflege des DRK-Kreisverbandes Fläming-Spreewald, und Tahnee Leyh, Gemeindegesundheitspflegerin, nach Berlin gekommen, um vom Community Health Nursing zu berichten: Der Brandenburger Pakt für Pflege hat es den Kommunen ermöglicht, Projekte ins Leben zu rufen, um die pflegerische Versorgung vor Ort zu stärken. Dies war Anlass für die Stadtverwaltung in Luckau und der DRK-Kreisverband, ein niedrigschwelliges Angebot insbesondere für ältere Menschen jenseits der ärztlichen Versorgung zu initiieren. Die richtige Fachkraft hierfür fand sich mit Tahnee Leyh, die nach einer Ausbildung zur Krankenschwester und einem Master-Studium in Community Health Nursing zurück in ihre Heimatstadt Luckau gekehrt war und per E-Mail ihre Mitarbeit anbot. Aus dieser E-Mail ist ein Versorgungsprojekt entstanden, das inzwischen weit über Brandenburgs Grenzen hinaus bekannt geworden ist. Als Gemeindegesundheitsschwester führt Leyh eine Pflegesprechstunde und Hausbesuche durch. Neben pflegerischer Behandlung berät sie bei Anträgen und steuert die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Von den Ärztinnen und Ärzten in Luckau ist Leyh längst anerkannt. „Die haben auch gemerkt, was sind schon 10 Minuten in der Sprechstunde gegen einen Hausbesuch?“. Außerdem versäumt Leyh keine Gelegenheit, um für mehr Anerkennung und mehr Autonomie der Pflegeberufe zu kämpfen. In Luckau möchte man auf die Gemeindegesundheitsschwester nicht mehr verzichten. Ihre Stelle wird nun, statt von Jahr zu Jahr durch den Pakt für Pflege, aus kommunalen Mitteln für fünf Jahre finanziert.

Staatssekretärin Haußdörfer kündigt Altenhilfestrukturgesetz an

Ellen Haußdörfer, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege erläutert die pflegepolitischen Maßnahmen der Landesebene. Sie ging dabei auf das Altenhilfestrukturgesetz, den Landespflegeplan und die Landespflegestrukturplanung ein, die in Berlin die Weichen für eine Stärkung der Pflege stellen. In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es dann hauptsächlich um Finanzierungsfragen. Gabriela Leyh, die als Gastgeberin durch die Veranstaltung führte und die Diskussion moderierte, lobte das Land Berlin für seine Regelungen bei der Nachbarschaftshilfe, lotete die Handlungsspielräume der Politik im Land und im Bund aus, die professionelle und informelle Pflege zu stäkren, kritisierte die hohen Belastungen der Krankenkassen durch versicherungsfremde Leistungen und hakte nach, wann das Land Berlin seiner Verpflichtung bei den Investitionskosten im Bereich der Pflege und der Krankenhäuser vollumfänglich nachkommen werde. Christian Zander, gesundheits- und pflegepolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus erklärte, dass das Land Berlin wegen der angespannten Haushaltslage die Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser nicht vollumfänglich leisten könne, auch wenn es dazu gesetzlich verpflichtet sei. Auch ein Pflegewohngeld, das in Berlin noch diskutiert wird und die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen entlasten könnte, sei nicht finanzierbar. In den kommenden Jahren müsste geprüft werden, worauf verzichtet werden kann. Ähnlich äußerte sich Lars Düsterhöft, pflegepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, der zugleich auf die Schwierigkeit mit den nach Gesetzeslage freiwilligen Leistungen aufmerksam machte. Seiner Auffassung nach, würde es mit vielen Vorhaben nach unten gehen, wenn die Abgeordneten im Herbst den Haushalt beschließen. Das Argument des fehlenden Geldes wollte Christine Volger, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, nicht gelten lassen: „Schon in Zeiten, in denen es Geld gab, gab es nie Geld für die Pflege.“ Sie sieht in der Pflege viele Ressourcen, die bereit liegen aber nicht genutzt werden, wie zum Beispiel die Digitalisierung oder die Kompetenzerweiterung in der Pflege. „Der Arztvorbehalt muss weg, ohne Wenn und Aber!“, so Vogel. BMG-Abteiteilungsleiter Schölkopf signalisierte hier vorsichtige Zuversicht, hielt aber eher einen stufenweisen Abbau des Ärztevorbehaltes für machbar. Für eine saftige Pointe sorgte Vogel dann in ihrem eindringlichen Statement: „Wir sind in der Pflege unterwegs wie auf der A100 und dann helfen auch keine stützenden Pfeiler mehr.“

Vernetzungspausen und Ausstellungsprogramm

Den rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bot sich neben dem Programm und interessanten Gesprächen ein besonderes Ausstellerprogramm, an dem sich die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, der Medizinische Dienst Berlin-Brandenburg, der Pflegestützpunkt Berlin-Spandau, das Vivantes-Klinikum Spandau mit einem Stand zum psychiatrischen Fachpflegekonzept mit pflegetherapeutischem Schwerpunkt und die BARMER mit ihrem digitalen Pflegekompass beteiligten.