Symbolbild Lösungsweg

Was heißt eigentlich Ambulantisierung? Auf dem BARMER-Herbstforum stand die Situation in Berlin und Brandenburg im Fokus

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Auf dem diesjährigen Herbstforum der BARMER Landesvertretung Berlin/Brandenburg waren rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gespannt auf Beiträge rund um die Ambulantisierunginitiativen aus dem KHVVG  Wo liegen die Chancen? Wo besteht Regelungsbedarf auf der Landesebene? Wie soll eine ambulante Versorgung besser und in anderen Dimensionen gelingen? Dieser und weiteren Fragen sind am 30. Oktober Michael Weller, Leiter der Abteilung 2 Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung im Bundesministerium für Gesundheit, Ellen Haußdörfer (Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin) und Dr. Thomas Götz (Staatssekretär im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg)in der Akademie der Wissenschaften zunächst mit einem Eingangsstatement begegnet. Erwartungsgemäß waren die Impulse von unterschiedlichen Perspektiven auf die jeweiligen eigenen Verantwortlichkeiten, bevorstehenden Herausforderungen und Versäumnisse geprägt. Herr Weller hob die zentrale Bedeutung der Hybrid-DRGs hervor, die den Ambulantisierungsprozess nun endlich beschleunigen würde.

Berlin: Ambulantisierung nicht von heute auf morgen möglich

Doch sind die Hybrid-DRGs tatsächlich so ein wichtiger Treiber für die Ambulantisierung? Moderatorin Rebecca Beerheide (Leiterin der politischen Redaktion beim Deutschen Ärzteblatt) griff die Frage in der ersten Podiumsdiskussion auf, die die Situation für Berlin betrachtete. Aus Sicht des Berliner KV-Vorsitzenden Dr. Burkhard Ruppert seien bereits jetzt mit rund acht Millionen Arzt-Patienten-Kontakten pro Quartal zu viele Patientinnen und Patienten im ambulanten Setting zu versorgen. Der derzeitige ungesteuerte Zugang in alle Praxen wird sich nach seiner Auffassung in der Zukunft nicht mehr haltbar sein. Die Frage, woher Ärztinnen und Ärzte, MFAs  und Pflegekräfte kommen, sei nicht beantwortet. Dr. Johannes Danckert (Vorsitzender der Vivantes Geschäftsführung) machte deutlich, dass Ambulantisierung nicht von heute auf morgen realisierbar sei. Eine ambulante wirtschaftliche Versorgung erfordere bauliche Veränderungen in den Krankenhäuern, die geplant, genehmigt und umgesetzt werden müssten. Mit den Hybrid-DRGs werde ein Rabattierungsmodell angestoßen, das die Krankenhäuser zusätzlich in eine Schieflage bringt und dass der Grouper erst im nächsten Jahr zur Verfügung stünde, erschwere die gesamte Planung außerordentlich. Konzentrationsprozesse führe Vivantes intern schon heute durch. Als ein Beispiel nannte er in Berlin die Herzchirurgie. Ohne „Trennungsschmerzen“ werde die Krankenhausreform in Berlin nicht ablaufen, sagte Staatssekretärin Haußdörfer, ließ jedoch offen, ob das Land Berlin der Krankenhausreform im Bundesrat zustimmen werde. Sie betonte, dass die Nachsorge und Pflege von Patientinnen und Patienten, die zum Beispiel ambulant operiert werden, organisiert werden müsse. Dr. Bernadette Klapper (Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe) erläutert, dass die Lösung der Versorgungsfragen der Zukunft durch multiprofessionelle Teams und neue Berufsbilder möglich ist und die Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden müssen.

Brandenburg: Instrumentenkasten für regionale Lösungen

Eine Vertreterin eines solchen neuen Berufsbildes saß auf dem nächsten Podium: Tahnee Leyh ist Community Health Nurse und nennt sich in einem Projekt in Luckau Gemeindegesundheitspflegerin, weil „die Menschen hiermit etwas konkretes verbinden“. Ihre Stelle wird aus Mitteln des Brandenburger Pakts für Pflege finanziert. Sie verkörpert das, was sich viele Patientinnen und Patienten nach ihrer Wahrnehmung wünschen: eine Ansprechpartnerin für alle gesundheitlichen Belange. Sie führt Hausbesuche durch und hat feste Sprechzeiten, kann den Versorgungsbedarf ermitteln und durch Akzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten, Pflegdiensten und anderen die Versorgung auch im häuslichen Umfeld organisieren. Innovative Versorgungsstrukturen scheitern aus ihrer Sicht an Gewohnheiten, persönlichen Befindlichkeiten und am Festhalten arztzentrierter Strukturen, die längst überholt seien. Holger Rostek (Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg) zeigt großes Interesse an dem in Luckau etablierten Projekt. Bedauerlich sei in der täglichen Praxis, dass er auf der Seite der Pflege oder der Medizinischen Fachangestellten keine Ansprechpartner fände, weil diese Berufsgruppe keine eigenen Institutionen habe. In Brandenburg fehlten bereits jetzt nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch MFA in Arztpraxen, die von Krankenhäuern häufig abgeworben würden. Zudem würde mit dem Transformationsfonds ausschließlich im Krankenhausbereich die Sektoren manifestiert. Die Frage, wie Fachkräfte gehalten und die Kompetenz der Pflege gestärkt werden kann, ist auch für Dr. Ruth Hecker (Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit) der Schlüssel für eine zukunftsfeste Versorgung. Dr. Steffi Miroslau (Geschäftsführerin der Gesellschaft für Leben und Gesundheit) setzte die Diskussion in einen internationalen Kontext. Eine Krankenhausreform, wie sie gerade in Deutschland angestrebt wird, habe Dänemark schon im Jahr 2002 durchgeführt. Diese sei auch nicht frei von Konflikten, aber wirksam gewesen. Das deutsche Gesundheitswesen sei jetzt schon überreguliert und habe keine Anreize zur Überwindung der Sektoren. Ausreichende finanzielle Mittel für strukturelle Veränderungen stünden nicht zur Verfügung, so dass die Versorgung in der Fläche immer schwieriger werde. Der noch kommissarisch tätige Staatssekretär Dr. Thomas Götz warb dafür, Projekte wie in Luckau auszuweiten und den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) mit in die Versorgungsplanung einzubeziehen und Gesundheitspolitik als Querschnittsaufgabe gemäß dem Leitsatz „health in all policies“ wahrzunehmen.

10-Punkte-Papier der BARMER als Wegweiser

Aus Sicht der Gastgeberin Gabriela Leyh (Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg) zeigten alle Beiträge, dass eine regionale Versorgungsplanung mit den Beteiligten, wie sie die Barmer bereits in ihrem 10-Punkte-Papier vorgeschlagen hat, unumgänglich ist. Zudem brauche es eine ordnende Hand, die einen Interessensausgleich durchführt. Diese Rolle sieht Leyh bei den jeweiligen Gesundheitsministerien der Länder, denen die Krankenhausplanung obliegt. Die Kompetenzen des 90a-Gremiums sollten für verbindliche sektorenübergreifende Versorgungsentscheidungen erweitert werden. In ihrem Schlusswort wünschte sie dem Land Brandenburg eine stabile Regierung, die Gesundheitspolitik zur Chefsache mache.