Für zahlreiche Gesundheitsexperten steht seit Jahren fest, dass das Verharren des deutschen Gesundheitswesens in Versorgungssektoren eines der größten Schwachstellen des Systems ist. Eine sektorenübergreifende Versorgung würde die Versorgungsqualität deutlich erhöhen. Welche Wege führen zu diesem Ziel? Dieser zentralen Frage widmete sich die Veranstaltung der Barmer Landesvertretung Berlin /Brandenburg „Brücken bauen für gute Qualität“ mit über 100 Teilnehmern aus der Berliner und Brandenburger Gesundheitsszene am 19. Juni 2018 in Berlin.
Leistungsplanung statt Kapazitätsplanung
Eingangs betonte Dr. Gottfried Ludewig, Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium, die Bedeutung der Digitalisierung für die sektorenübergreifenden Versorgung, welche die Entwicklung beschleunigen wird. Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, knüpfte mit seiner Forderung nach einer systematischen und strukturellen Überwindung der Sektoren an die Bedeutung von Big Data für die sektorenübergreifende Planung an. Die vorhandenen Abrechnungs- und Leistungsdaten sollten durch eine neutrale Stelle auf Bundesebene, wie zum Beispiel das Statistische Bundesamt, ausgewertet werden, um einen „empirischen Anker“ zu bilden, sodass die reine Kapazitätsplanung durch eine Leistungsplanung ersetzt werden kann. Denn der Kapazitätsbedarf sollte von der Leistungsplanung abgeleitet werden und nicht umgekehrt.
Sektorenübergreifende Kooperation rettet Leben
Prof. Dr. Volkmar Falk, Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums, bestätigte in seinem Vortrag den Zusammenhang zwischen Fallzahlen und der Versorgungsqualität. Die Zentralisierung von Leistungen an Krankenhausstandorten als auch die Subspezialisierung der Operateure innerhalb einer Krankenhausabteilung senken nachweislich die Mortalität. Dass sektorale Grenzen durch Zentralisierung überwunden werden können, zeigt das Beispiel des Aortennotfalls. Mit Einführung des Aortennotfalltelefons konnte die Zeit bis zur "richtigen" Versorgung von 7,5 Stunden auf sechs Stunden gesenkt werden. Ärzte und Rettungsdienste können bei Verdacht auf ein akutes Aortensyndrom Patientinnen und Patienten schnellstmöglich an einen Maximalversorger vermitteln – diese gewonnene Zeit rettet Leben. Weitere Ideen zur Kooperation in der Notfallversorgung stellte Dr. Burkhard Ruppert, stellvertretender Vorsitzender der KV Berlin, in seinem Vortrag zur Reorganisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes vor. Das Eckpunktepapier der KV Berlin setzt mit dem Ausbau des Notdienstpraxensystems, der Weiterentwicklung der Leitstelle und der Etablierung eines zukunftsfähigen Hausbesuchsdienstes drei Schwerpunkte, welche der Patientensteuerung dienen und zur Entlastung der Rettungsstellen beitragen.
Lösung der Jahrhundertaufgabe
In der Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass die größte Schwierigkeit der Veränderung darin liegt, dass sich die Akteure selbst verändern müssen. Von dieser Bereitschaft hängt die Geschwindigkeit der Umsetzung einer sektorenübergreifenden Versorgung maßgeblich ab. Dr. Mani Rafii, Mitglied des Vorstandes der Barmer, befürchtet, die Qualität der Versorgung könne Einbußen erleiden, wenn jeder sein eigenes Terrain verteidigt. Kooperation erfordere hingegen Kreativität, unterstrich Brit Ismer, Vorsitzender der Berliner Krankenhausgesellschaft. Aus ihrer Sicht könnte die sektorenübergreifende Qualitätssicherung eine Basis für die sektorenübergreifende Planung sein. Weitere wichtige Schritte hin zur sektorenübergreifenden Versorgung benannte Boris Velter, Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Er befürwortet eine Leistungsplanung. Das „dickste Brett“, was es zu bohren gilt, sei ein einheitliches Vergütungssystem. Prof. Dr. Thomas Mansky, Leiter des Fachgebietes Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen der TU Berlin, nannte es die Lösung der Jahr-hundertaufgabe. Gleiches Geld für gleiche Leistung müsse hierbei die Devise sein, betonte Dr. Rafii. Zudem beschränke sich sektorenübergreifend nicht nur auf den Bereich ambulant-stationär, sondern beziehe auch die nicht ärztliche Versorgung mit ein – die Einbindung der Pflege sei extrem wichtig, hob Dr. Rafii hervor.
Für eine konsequente Qualitäts– und Patientenorientierung
Landesgeschäftsführerin Gabriela Leyh bilanzierte: „Bei der Verschmelzung der Sektoren geht es darum, an den bestehenden Versorgungsstrukturen anzuknüpfen, keine zusätzlichen Strukturen bzw. Sektoren aufzubauen und alte Strukturen aufzugeben. Der Weg zu einer sektorenübergreifenden Planung erfordert das Bekenntnis aller Beteiligten zum gemeinsamen Ziel, eine konsequente Qualitäts- und Patientenorientierung zu verfolgen. Schließlich geht es darum, dass Patientinnen und Patienten von kreativen Lösungen für mehr Kooperation im Gesundheitswesen profitieren.“