Landtag Brandenburg
Positionspapier zur Landtagswahl in Brandenburg 2024

Herausforderungen mit Mut und Kommunikation begegnen

Lesedauer unter 13 Minuten

Vorwort

Unser Gesundheitssystem wird entscheidend von der volkswirtschaftlichen, insbesondere der demographischen Entwicklung und dem medizinisch-technischen Fortschritt beeinflusst. Die Organisation einer zukunftsfesten und patientenorientierten Gesundheitsversorgung ist mit dem akuten Fach- und Arbeitskräftemangel sowie dem bestehenden Reform- und Investitionsstau zu einer Mammutaufgabe geworden.

Die Corona-Krise hat die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes stark auf die Probe gestellt. Außergewöhnliche Belastungen sind entstanden und zum Teil noch nicht überwunden. Die seit Jahrzehnten bekannten und mehrfach auch vom Sachverständigenrat für Gesundheit und Pflege thematisierten Probleme sind während der Pandemie deutlich als Hemmnis für eine patientenorientierte Versorgung zu Tage getreten. Es gab Fortschritte bei der Digitalisierung, die von der Gesellschaft zunehmend akzeptiert wird. Die digitale Transformation durch die Nutzung von Big Data und den Einsatz Künstlicher Intelligenz steht im Gesundheitswesen jedoch noch bevor und muss durchgängig im Sinne der bestmöglichen Versorgung gestaltet werden.

Um die komplexen Herausforderungen anzunehmen, braucht es Mut, Gestaltungswille und gemeinsame Kraftanstrengungen aller Beteiligten, insbesondere der politisch Verantwortlichen im Bund und in den Ländern. Brandenburg umschließt Berlin in seinem Zentrum, ist damit Teil der Hauptstadtregion und zugleich der europäischen Metropolregion Berlin/Brandenburg. Beide Länder verbindet über viele Jahre eine enge Zusammenarbeit auch in der Gesundheitsversorgung, wie etwa in der gemeinsamen Krankenhausplanung. 

Die Länder Berlin und Brandenburg müssen gemeinsam mit dem Bund sowohl beim Umbau der Krankenhauslandschaft als auch der länderübergreifenden Notfallversorgung im Sinne der Patientinnen und Patienten an einem Strang ziehen. Die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung müssen sie dabei beteiligen und die Bevölkerung in dem Prozess mitnehmen.

Brandenburg steht als fünftgrößtes Flächenland mit seiner heterogenen wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Die gewählte Landesregierung muss Gesundheitspolitik zur Chefsache machen, gemeinsam mit Berlin und dem Bund die überfälligen Reformen umsetzen und mit den digitalen Möglichkeiten, die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessern. Für eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung und Pflege können Kranken- und Pflegekassen ihren Versicherten alle medizinisch wichtigen Daten auf der elektronischen Patientenakte zur Verfügung stellen. Damit leisten sie zugleich einen wesentlichen Beitrag zur Entbürokratisierung. Mit ihrer Beratungskompetenz und dem Anspruch der Versicherten auf ein Versorgungsmanagement bieten sich Kranken- und Pflegekassen als Lotse im Gesundheitswesen an. Dieses Potenzial sollte für die Gestaltung eines modernen Gesundheitssystems stärker ins Bewusstsein rücken. 

1. Stationäre Versorgung
 

Umbau der Krankenhauslandschaft

Die Notwendigkeit einer strukturierten Anpassung stationärer Kapazitäten an den tatsächlichen Bedarf ist zwischenzeitlich weitgehend unstrittig, ebenso die Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausplanung. Kontrovers diskutiert wird hingegen die Zuständigkeit für die Finanzierung eines Transformationsprozesses sowie die Zuständigkeit für die Festlegung der strukturellen und personellen Voraussetzungen für die Zuweisung der Leistungsgruppen zu den Krankenhausstandorten. Aus Sicht der Barmer ist ein Umbau der Krankenhauslandschaft infolge geringer Auslastung, hoher Ambulantisierungspotenziale und einer vorrangig an der Qualität ausgerichteten Versorgungsstruktur längst überfällig. Bund und Länder müssen sich über die Finanzierung der für den Transformationsprozess anfallenden Investitionen verständigen.

Einheitliche Qualitätsanforderungen

Der Damm, Fachabteilungen aus wirtschaftlichen Gründen oder Personalmangel trotz ausgewiesenem Versorgungsauftrag zu schließen, ist in Brandenburg längst gebrochen. An die Stelle eines ungesteuerten Marktaustritts muss eine qualitäts- und bedarfsorientierte Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen treten. Sie ist die Basis für eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung unter Einbeziehung des ambulanten Bereiches. Für eine Weiterentwicklung der gemeinsamen Krankenhausplanung in der Metropolregion Berlin/Brandenburg sind bundesweit einheitliche Qualitätsanforderungen zugrunde zu legen. Patientinnen und Patienten haben ein Anrecht auf eine in allen Belangen qualitätsgesicherte Behandlung. Um diesem Patientenrecht zu entsprechen, muss jede Behandlung aktuellen und anerkannten Standards entsprechen. Diese können sich unter anderem aus den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ergeben. Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse der Regierungskommission, dass die Konzentration der Leistungserbringung der richtige Weg zu einer Verbesserung der Versorgung ist. Darauf folgend sind Schritte einer stärkeren Spezialisierung und Kooperation in der stationären Versorgung und die Verzahnung in den ambulanten Bereich notwendig.

Krankenhausinvestitionen 

Ob Krankenhaus der Maximalversorgung, der Regel- oder Grundversorgung oder ein künftig überwiegend an der ambulanten Versorgung beteiligtes regionales Versorgungszentrum z. B. mit stationärer Überwachungsmöglichkeit im ländlichen Raum; jedes Krankenhaus benötigt dringend Planungssicherheit über den künftigen stationären Versorgungsauftrag sowie über die zur Verfügung stehenden Investitionsmittel. Die dauerhafte Verantwortung für die Investitionskosten tragen die Bundesländer. Mit der Zuweisung der Leistungsgruppen muss auch die Höhe für die medizintechnische Ausstattung geklärt sein.

Blick über die Landesgrenze

Die Landesregierung sollte mittelfristig berücksichtigen, inwieweit sich sinnvolle Konzentrationen an den Grenzen zu anderen Bundesländern in die Krankenhausplanung einbeziehen lassen. Die vom Land Brandenburg Ende 2023 initiierte stufenweise angelegte Versorgungsbedarfsanalyse beginnend in der Brandenburger Lausitzregion stellt einen ersten Schritt in einem komplexen Prozess dar. Dieser Prozess muss auch mit den kommunalen Akteuren austariert werden und darf nicht an der Ländergrenze enden. Mit der Übernahme der Trägerschaft des Carl-Thiem-Klinikums durch das Land ab dem 01.07.2024 ist ein weiterer Schritt zum Aufbau des “Innovationszentrums Universitätsmedizin Cottbus“ (IUC) getan. Neben der Stärkung der Wissenschafts- und Forschungsregion Lausitz soll die medizinische Versorgung in einem ländlichen, vom Strukturwandel geprägten Raum bedarfsgerecht aufrechterhalten werden. Finanziell unterstützt der Bund im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen bis 2038. Diese einzigartige Chance darf nicht ungenutzt bleiben. Alle Investitionsvorhaben und Maßnahmen des Landes zur medizinischen Versorgung sollten zu einem schlüssigen Gesamtkonzept in der Lausitz unter Einbeziehung aller an der Versorgung Beteiligten zusammengeführt werden.

Versorgungsqualität

Entscheidend für gute Behandlungsergebnisse bei planbaren Eingriffen und Geburten ist nicht die Nähe zum nächstgelegenen Krankenhaus, sondern die technische Ausstattung sowie die Versorgung durch qualifiziertes Pflegepersonal. Die Einhaltung von Mindestanforderungen der Qualitätsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und die Erfüllung von Mindestmengen erhöhen die Versorgungsqualität, senken das Sterblichkeitsrisiko und sorgen für eine leitliniengerechte und damit patientenorientierte Versorgung, sei es bei einer Hüftfraktur, einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder bei der Versorgung von Kindern oder Frühgeborenen.


2. Notfall- und ambulante Versorgung

Verlagerung des Rettungsdienstes in das SGB V 

Die Reform der Notfallversorgung ist entscheidend für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und die Akzeptanz des Umbaus der Krankenhauslandschaft. An der Notfallversorgung nehmen neben dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, der in den Zuständigkeitsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung fällt, Notaufnahmen in den Krankenhäusern und der Rettungsdienst teil, welcher derzeit in den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kommune und nicht in den Bereich des SGB V fällt. Diese Strukturen halten trotz koordinierender Leitstellen dem demographischen Wandel, den Bedingungen des Fachkräftemangels und häufig unnötiger Inanspruchnahmen sowie damit auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot längst nicht mehr stand. Die heutige Struktur mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und der Trennung zwischen Sektoren in einem Leistungsbereich, der im Ernstfall Leben retten soll, muss durch ein schlüssiges Gesamtkonzept ersetzt werden. Die Regierungskommission des Bundes schlägt zurecht vor, den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich in das SGB V zu integrieren. Damit würden Leistungen der Leitstellen, der Notfallversorgung vor Ort, des Notfalltransports und zusätzliche Leistungen der speziellen ambulanten Notfallversorgung (pflegerische Notfallversorgung, Palliativversorgung und psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention) unmittelbar im Verantwortungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegen. Zugleich sollen aus Sicht der Barmer die Krankenkassen und Leistungserbringer Verträge über die Finanzierung schließen. Notwendig für die Sicherstellung der Qualität in der Notfallversorgung und die Vergleichbarkeit der Kosten sind bundeseinheitlich zu entwickelnde Strukturvorgaben. Dabei muss gewährleistet sein, dass die Krankenkassen – anders als bisher – ein gleichberechtigtes Mitspracherecht erhalten. Hierfür müssen sich Bund und Länder mutig und unter Einbeziehung der jetzigen Träger des Rettungsdienstes auf eine Reform verständigen. Das empfohlene duale Finanzierungsmodell ist notwendig, um eine Verlagerung der Länder-Investitionskosten auf die Krankenkassen und damit die Beitragszahler zu vermeiden. Eine kreis-  und länderübergreifende Bedarfsplanung einschließlich Luft- und Bodenrettung sowie eine konsequente digitale Vernetzung aller an der Notfallversorgung Beteiligten sind aus Sicht der Barmer ebenso notwendig wie die unmittelbare Transparenz über stationär und ambulant verfügbare Kapazitäten.

Flächendeckende, integrierte Notfall- und Akutversorgung 

Es ist nicht in jedem Fall medizinisch notwendig, die Notaufnahme aufzusuchen. Häufig reicht es aus, Patientinnen und Patienten ambulant zu versorgen, zu einem Facharzt oder einer Fachärztin zu vermitteln oder schlicht zu beraten. Der dauerhafte Verschleiß von Ressourcen in Notaufnahmen und im Rettungsdienst darf nicht länger akzeptiert werden. Die parallel bestehenden Systeme müssen sektorenübergreifend zusammengeführt werden. Viele Patientinnen und Patienten suchen die Notaufnahme eines Krankenhauses auf, weil der kassenärztliche Bereitschaftsdienst nicht ausreichend bekannt oder nicht verfügbar ist. Auch die Akutversorgung im Zusammenhang mit einem Notfall muss nach dem Grundprinzip, ambulant vor stationär, organisiert werden. 
Eine flächendeckende, integrierte Notfall- und Akutversorgung sowie der parallele Ausbau von ambulanten wohnortnahen Versorgungszentren sind ein klarer Vorteil für Patientinnen und Patienten und müssen stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte gestellt werden. Die Zusammenarbeit der Rettungsdienste und der zentralen Notaufnahmen Brandenburgs mit den Ländern Berlin und Mecklenburg-Vorpommern durch die länderübergreifende Patientenzuweisung über IVENA (Interdisziplinären Versorgungsnachweis) ist ein wichtiger Schritt. Dem Grundsatz der länderübergreifenden Zusammenarbeit sollte ebenso hinsichtlich der Verzahnung des Rettungsdienstes mit dem ambulanten Sektor gefolgt werden, um Patientinnen und Patienten direkt zu versorgen oder zu vermitteln. Eine Stärkung der ambulanten Notfallversorgung im Rahmen eines gestuften sektorenübergreifenden Gesamtkonzeptes kann zu einer Entlastung der Rettungsstellen und des Rettungsdienstes führen. Während der Corona-Pandemie wurde der Beweis erbracht, dass bei klaren Orientierungshilfen die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen überwiegend gelenkt werden kann. Allerdings ist es medizinisch nur dann sinnvoll, Patientinnen und Patienten in Notaufnahmen zu behandeln, wenn entsprechend geschultes und erfahrenes medizinisches Personal dies in einer Ersteinschätzung an einem gemeinsamen Tresen entscheidet.

Sektorenübergreifende Versorgungsplanung

Die Weiterentwicklung der Krankenhausplanung muss sich am medizinischen Fortschritt und dem Versorgungsbedarf ausrichten. Sie muss in einer Balance zum ambulanten Versorgungsbereich erfolgen. Aus Sicht der Barmer müssen hierfür Instrumente für eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung entwickelt werden. Sie müssen geeignet sein, die bestehende Bedarfsplanung im vertragsärztlichen Bereich mittelfristig zu ersetzen.


3. Pflege und pflegende Angehörige stärken

Stärkung der Pflege

Politische Initiativen zur Stärkung der Pflege müssen sowohl in den Krankenhäusern als auch in der ambulanten und stationären Pflege in der Praxis spürbar ankommen. Entscheidend wird sein, wie gut es den Krankenhäusern, den Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen sowie den ambulanten Diensten in der Palliativ- und Hospizversorgung ermöglicht wird, attraktive Arbeitsbedingungen dauerhaft zu schaffen. Was uns andere Länder in Europa und weltweit an Erfolgen bei der Fachkräftesicherung und Rekrutierung ausländischer Fachkräfte zeigen, muss auch in Deutschland umgesetzt werden. Bund und Länder müssen sich auf mehr Kompetenzen und Befugnisse für Pflegefachkräfte sowie auf bundeseinheitliche Bildungsstrukturen und Lerninhalte verständigen. Die neue Landesregierung sollte den Pakt für Pflege in Brandenburg fortsetzen, um nachhaltig in alters- und pflegegerechte Sozialräume zu investieren, insbesondere die Kapazitäten für Kurzzeit- und Tagespflege ausbauen und digitale Angebote (u.a. Videoberatung) bestehender Pflegestützpunkte fördern.

Pflegende Angehörige entlasten

Die familiäre und selbstorganisierte Pflege ist das Fundament der pflegerischen Versorgung. Deshalb müssen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen administrativ entlastet werden. Ein gut funktionierendes Entlassmanagement muss von jedem Krankenhaus umgesetzt werden, damit jede Kranken- und Pflegekasse unterstützen kann. Auch hier müssen digitale Lösungen zur Verfügung stehen. Pflegende Angehörige haben aus gutem Grund Anspruch auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Damit sie diese Entlastungsangebote auch tatsächlich wahrnehmen können, benötigen sie vor Ort Einrichtungen mit entsprechenden Kapazitäten.

Reform der Pflegeversicherung

Die soziale Pflegeversicherung hat großen Reformbedarf. Die steigenden Eigenanteile in der Pflege stellen die Lebensplanung vieler Menschen in Frage. In der Metropolregion Berlin/Brandenburg waren im Jahr 2021 mehr als 370.100 Menschen pflegebedürftig. Die Zahl wird in den kommenden Jahren rasant steigen. Ausreichende ambulante und stationäre Versorgungsstrukturen, insbesondere in dünnbesiedelten Regionen, Personal und Finanzmittel werden dringend benötigt. Die soziale Pflegeversicherung befindet sich in einer schwierigen Finanzsituation, denn die Kosten für die pflegerische Versorgung wachsen stetig. Notwendig ist nicht nur eine Finanzierungsreform für die Pflegeversicherung, sondern auch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Finanzierung zwischen Bund, Ländern und der Pflegeversicherung.

Qualitätsstandards und Investitionskosten

Für Pflegebedürftige müssen hohe Qualitätsstandards in allen pflegerischen Einrichtungen, auch im betreuten Wohnen und in Pflegewohngemeinschaften, sichergestellt sein. Für die Sicherung einer flächendeckenden pflegerischen Infrastruktur muss auch Brandenburg seiner Verpflichtung zur Investitionskostenfinanzierung nachkommen. Laut einem Gutachten des IGES-Instituts aus dem Jahr 2021 kommt das Land Brandenburg dieser Verpflichtung mit drei Euro je Pflegebedürftigem nicht nach. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 214 Euro je Pflegebedürftigem. Die neue Landesregierung muss sich dieser finanziellen Verantwortung endlich stellen, damit diese Kosten nicht weiterhin den Bewohnerinnen und Bewohnern in stationären Pflegeeinrichtungen auferlegt werden.

4. Prävention und Gesundheitsförderung

Präventionspolitik schärfen

Zahlreichen Erkrankungen können durch eine gesundheitsbewusste Lebensweise, eine ausgebildete Gesundheitskompetenz sowie gesundheitsfördernde Lebensbedingungen in jedem Alter vermieden oder hinausgezögert werden. Prävention muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zum politischen Querschnittsthema über alle Lebens- und Verantwortungsbereiche hinweg verankert werden. Das BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) stellt Daten und Analysen zu einem breiten Spektrum von Krankheitsbildern auf seiner Internetseite interaktiv dar. Sie geben Auskunft zu regionalen Besonderheiten und soziodemographischen Faktoren.

Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes

Studien belegen, welche Faktoren die Gesundheit beeinflussen. Hier setzt eine vernünftige, auf gesunde Lebensverhältnisse ausgerichtete gesamtgesellschaftliche Betrachtung bereits an. Eine zentrale Rolle kommt hierbei dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu. Für eine regionale Versorgungsplanung ist eine Einbeziehung und Stärkung des ÖGD unabdingbar. Neben dem personellen und finanziellen Ausbau der Gesundheitsämter muss die Landesregierung für eine bessere technische Ausstattung und Vernetzung sorgen. Für Ärztinnen und Ärzte muss eine Tätigkeit beim ÖGD attraktiv sein. Deshalb ist die Höhe der ärztlichen Gehälter im ÖGD an andere Bereiche des Gesundheitswesens anzupassen. Dabei handelt es sich um Aufgaben der Daseinsvorsorge, die vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren sind.

Gesundheitsförderung durch den Arbeitgeber und in den nichtbetrieblichen Lebenswelten

Im Berufsleben stehen Arbeitgeber in der Pflicht, mit präventiven Angeboten und einem gesunden Betriebsklima für die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen. Die Barmer unterstützt die Arbeitgeber dabei und fördert mit ihren Leistungen insbesondere den Aufbau und die Stärkung von gesundheitsförderlichen Strukturen. Im Rahmen ihres Präventionsauftrages engagiert sich die Barmer mit eigenen Projekten in den nichtbetrieblichen Lebenswelten von Kita und Schule bis hin zu Kommunen und Pflegeeinrichtungen. Darüber hinaus beteiligt sich die Barmer an gemeinsamen Landesprojekten wie dem Landesprogramm „Gute gesunde Schule“ sowie in den Bündnissen „Gesund Aufwachsen“ und „Gesund Älterwerden“. Diese ressortübergreifende und konsensorientierte Zusammenarbeit mit allen Akteuren gilt es fortzuführen.

5. Digitalisierung und Innovation

Digitale Ethik 

Damit digitale Technik und der Mensch mit seinen Bedürfnissen zusammenpassen, braucht es Verantwortung im Handeln mit der Technologie. Das zentrale Thema der digitalen Ethik muss von den Akteuren im Gesundheitssystem stets mit bedacht werden. Es geht darum, die technische Entwicklung und Innovation zu nutzen, aber gleichzeitig menschliche Werte, Freiheit und Recht zu wahren. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch ethisch vertretbar – aber Chancen auf eine bessere Versorgung nicht zu nutzen, wäre mit dem Wertesystem der Barmer zur digitalen Ethik nicht vereinbar. Eine verantwortungsvolle Digitalisierung im Gesundheitswesen ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Gesundheitsversorgung.  Werden Gesundheitsdaten systematisch nicht genutzt, wird wesentliches Potenzial für die Verbesserung der Qualität in der Versorgung verschenkt. Mit einem E-Medikationsplan lassen sich beispielsweise Doppel- oder Falschmedikationen verhindern und letztendlich Leben retten. Notwendig ist eine offene Debatte über den ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Gesundheitsdaten.

Chancen der Digitalisierung nutzen

Die Digitalisierung birgt die Chance, Gesundheit und das Gesundheitswesen völlig neu zu denken und zu gestalten, wie etwa mit dem Ausbau von Telemedizin, dem Einsatz von digitalen Pflegeanwendungen, digitalen Unterstützungssystemen für Standardprozesse oder notwendige Dokumentationen. Eine Schlüsselrolle stellt dabei die elektronische Patientenakte (ePA) dar. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Steigerung der Patientensicherheit. Ein sicherer und schneller Ausbau der digitalen Kommunikation im Gesundheitswesen ist flächendeckend notwendig, um alle Leistungserbringenden in die Telematikinfrastruktur (TI) einzubinden und die ePA mit ihren Möglichkeiten in die tägliche Praxis zu überführen. Hürden auf dem Weg dahin müssen alle Beteiligten gemeinsam überwinden.
Während die Anbindung an die TI für Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Apotheken gesetzlich verpflichtend ist, besteht für Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit, sich (zunächst) freiwillig an die TI anzubinden. Verpflichtend wird die Anbindung für Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen ab Juli 2025. Im Land Brandenburg haben nach Angaben der Gematik bisher 6,3 Prozent der Pflegeeinrichtungen Anträge auf eine TI-Anbindung gestellt (Stand Januar 2024). Es ist wichtig, die ambulante und stationäre Pflege regelhaft an die TI anzuschließen. Damit wird der Zugriff auf die ePA ermöglicht, sodass Behandlungsprozesse besser aufeinander abgestimmt und unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden können. Die Landesregierung ist aufgefordert, die Leistungserbringer in der Pflege in diesem Prozess unterstützend zu begleiten. 
 

Regelversorgung verbessern

Die Barmer beteiligt sich bundesweit an über 100 Projekten des Innovationsfonds. In Brandenburg ist es zum Beispiel das Innovationsfondsprojekt ErwiN (Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in ArztNetzen), in dem die Erprobung und Weiterentwicklung der erweiterten Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in Arztnetzen im Mittelpunkt steht. Doch gerade wenn es darum geht, erfolgreiche Projekte in die Regelversorgung zu überführen, werden die Probleme des Systems deutlich und Reformen unausweichlich. Selektivverträge zwischen den Beteiligten stellen temporäre Lösungen dar. Ziel aller Initiativen muss es sein, die Regelversorgung für die Patientinnen und Patienten zu verbessern.