Es geht wieder hoch her in der deutschen Gesundheitspolitik. Kaum ist die Tinte unter dem Koalitionsvertrag getrocknet, kündigt der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an, noch vor der Sommerpause drei Gesetzesentwürfe auf den Weg zu bringen. Dabei setzt er auf Themen, die beim Wähler gut ankommen dürften: die Krankenkassen sollen ihre Beiträge senken und Arbeitgeber wieder den gleichen Beitragsanteil zahlen wie die Arbeitnehmer. Selbstständige mit geringem Einkommen werden entlastet und Beitragsschulden abgebaut. Kassenpatienten sollen schneller einen Termin beim Arztbekommen und in der Pflege sollen bessere Rahmenbedingungen endlich das Fachkräfteproblem lösen. Was Berlin und Brandenburg in der Gesundheitsversorgung von diesem Gesundheitsminister und diesem Koalitionsvertrag erwarten können, kommentiert Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg.
Statt Beitragssenkung fordern, Fairness im Kassenwettbewerb schaffen
Schon der erste Gesetzesentwurf aus dem Hause Spahn sorgt ordentlich für Diskussionsstoff. Das GKV-Versichertenentlastungsgesetz will die Krankenkassen angesichts der hohen Rücklagen verpflichten, ihre Beiträge zu senken. Dass der Gesetzgeber hier die Selbstverwaltung, die übrigens durch die im vergangenen Jahr stark beworbene Sozialwahl demokratisch legitimiert ist, übergeht, stört kaum jemanden. Dabei sind es die Verwaltungsräte, die über die Verwendung finanzieller Rücklagen entscheiden. Tatsächlich fallen die Rücklagen von Kasse zu Kasse höchst unterschiedlich aus. Denn Kassen mit vielen Versicherten in Gebieten mit guten Versorgungsstrukturen haben höhere Ausgaben und folglich weniger Rücklagen. Dieser Umstand wird bei der Mittelzuweisung aus dem Gesundheitsfonds durch den Morbi-RSA nicht berücksichtigt.
Intelligenter wäre es, überhöhte Rücklagen in den Fonds zurückließen zu lassen. So würden sie zur Versorgung aller Versicherten zur Verfügung stehen. In der Diskussion um das GKV-Versichertenentlastungsgesetz zeichnet sich nun ab, dass der Morbi-RSA zeitnah reformiert werden soll. Wichtig ist, dass sie zügig erfolgt, damit ein fairer Wettbewerb unter den Kassen wirken kann und die Schieflage in der Ausschüttung des gesamten Beitragsaufkommens korrigiert wird. Die Kassen brauchen Planungssicherheit für ihre Investitionen in die Versorgung. Darunter fallen Projekte, die vom Innovationsfonds gefördert und von der Politik gewünscht sind, ebenso, wie die Förderung von neuen Strukturen für die Entwicklung, Erprobung und Etablierung neuer gesundheitlicher und pflegerischer Versorgungsangebote.
Personal in die Pflege statt in die Pflegestützpunkte
Neben der Beitragssenkung hat sich Gesundheitsminister Spahn eine Pflegeoffensive auf die Fahnen geschrieben. Um deutlich mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen oder wiederzugewinnen, müssen Rahmenbedingungen verändert, die Vergütung verbessert und die Arbeitsbelastung verringert werden. Das Maßnahmenbündel „Konzertierte Aktion Pflege“ enthält wichtige Vorhaben in Bezug auf Tarifverträge, motivierende Arbeitsbedingungen, bessere Gesundheitsvorsorge, Aus- und Weiterqualifizierung, Entbürokratisierung und Personalbemessungsinstrumente. Darüber hinaus muss die Dynamisierung der Pflegeleistungen weiter betrieben werden, um finanzielle Zusatzbelastungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen abzufedern. Das ist patienten- und versichertenorientiert und weit dringlicher, als die Mitarbeiterzahl in Pflegestützpunkten zu erhöhen, wie es in Berlin gerade gefordert wird, ohne dass es in diesem Kontext eine Bedarfs- und Qualitätsprüfung gibt.
Irrweg in der Krankenhauspolitik
Auch in den Krankenhäusern soll die Pflege aufgewertet werden, leider jedoch mit den falschen Mitteln. Statt eine Lösung für die fehlenden Investitionen der Länder in ihre Krankenhäuser zu finden, sollen die Kassen für die Personalkosten aufkommen und zwar in einer Form der Selbstkostendeckung statt wie bisher in den DRGs. Damit werden die Kliniken ihre von den Ländern vorenthaltenen Investitionsverpflichtungen nicht mehr über den Rücken der Pflegekräfte kompensieren können. Bei oberflächlicher Betrachtung ist dies ein positiver Effekt. Die Folge kann aber auch sein, dass es zu noch mehr ökonomisch getriebenen Krankenhausfällen kommen wird, damit Krankenhäuser ihre Fixkosten refinanzieren können. Statt die wirklichen Ursachen der bestehenden Belastung der Pflegekräfte in den Kliniken anzugehen, wird eine halbherzige Lösung zu Gunsten eines kurzfristig organisierbaren Geldflusses in Richtung Krankenhäuser favorisiert.
Keine überzeugenden Ansätze für Strukturreformen
Auch das Vorhaben, die Warteizeiten für Kassenpatienten auf einen Facharzttermin zu verkürzen, dürfte sich als schwierig erweisen. Laut Koalitionsvertrag sollen die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen unter einer bundesweit einheitlichen Nummer von 8 bis 18 Uhr erreichbar sein. Vertragsärzte sollen ihren Patienten künftig mit einer Sprechzeit von mindestens 25 statt bisher 20 Stunden in der Woche zur Verfügung stehen. Diese Maßnahmen mögen zu schnelleren Facharztterminen führen, aber nur dort wo es ausreichend Ärzte gibt, wie etwa in Berlin. In Teilen Brandenburgs, in denen es bestimmte Fachärzte nicht gibt, werden auch verlängerte Sprechstunden, nicht zu einem besseren Zugang zu Fachärzten führen. Eigeneinrichtungen der KVen und regionale Zuschläge zum Arzthonorar sollen laut Koalitionsvertrag mehr Ärzte in ländliche Regionen locken. Außerdem sollen die Länder ein Mitberatungs- und Antragsrecht in den Zulassungsausschüssen erhalten. Eine Regelung, die es eigentlich nicht braucht.
Die Zulassungsausschüsse sind eine Angelegenheit der gemeinsamen Selbstverwaltung. Mitwirkungsrechte der Länder stellen einen Systembruch dar. Ein aktuelles Bespiel, wie eine gemeinsame Bedarfsplanung funktionieren kann ist Berlin. Unter Mitwirkung des zuständigen Staatssekretär, haben die Landesverbände und die Ersatzkassen eine Lösung zur Verlegung von Arztsitzen in Bezirke mit geringeren Arztdichte gefunden. Alle drei Partner beteiligen sich mit jeweils einem Drittel an der Finanzierung. Das ist sinnvoll, fair und findet im normalen Miteinander statt. Doch auch diese Maßnahmen dürften die Probleme der Unterversorgung nicht beheben. Vielmehr müssen Kommunen und Länder Anstrengungen zur Verbesserung der Infrastruktur unternehmen, um ländliche Gebiete auch für Arztinnen und Ärzte wieder attraktiver zu machen und die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung zu verbessern.
Langer Weg zur sektorenübergreifenden Versorgung
Angesichts voller Rettungsstellen und überlasteter Rettungsdienste hat auch die Koalition erkannt, dass es einer Neuordnung der Notfallversorgung bedarf. In gemeinsamer Finanzierungsverantwortung sollen Landeskrankenhausgesellschaften und KVen gemeinsam die Notfallversorgung sicherstellen. Dies kann ein erster Schritt in der sektorenübergreifenden Versorgung sein. Zum weiteren Ausbau der Zusammenarbeit und Vernetzung im Gesundheitswesen möchte die Koalition eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen einsetzen. Da diese aber erst im Jahr 2020 Vorschläge vorlegen soll, bleibt zu befürchten, dass das Interesse an einem ernsthaften Reformschritt zur Aufhebung der strikten Trennung in dieser Legislaturperiode nicht besteht.