Herr Dr. Maske, die Folgen der Corona-Pandemie sind auch in den Statistiken der BARMER sichtbar. Die Adipositas-Diagnosen bei Kindern zum Beispiel sind in den vergangenen zwei Jahren um fast 20 Prozent gestiegen. In einem Interview haben Sie kürzlich gesagt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien besonders stark von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen sind. Was kann getan werden, um diese Kinder besser zu unterstützen?
Maske: Die Maßnahmen müssen gezielt eingesetzt werden, das heißt, es müssen genau die betroffenen Familien davon profitieren. Sinnvoll ist es sicherlich einen Rahmen für gesundes (Schul-)Essen zu schaffen, für Aufklärung zu sorgen (welches Essen ist „gesund“), Sportmöglichkeiten kostenlos anzubieten und auch in Schulen einen Ansprechpartner oder gar ein Schulfach für Gesundheit zu haben. Auch ein Werbeverbot für Süßigkeiten und Junk Food wie von Minister Özdemir auf den Weg gebracht ist sicher sehr sinnvoll.
Laut dem KiGGS-Survey des RKI konsumiert jedes Kind im Durchschnitt mehr als einen halben Liter zuckerhaltige Getränke am Tag. Die von der WHO empfohlenen 60 Minuten Bewegung pro Tag erreichen viele Kinder nicht. Wenn es um Kindergesundheit geht haben wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Woran hakt es?
Maske: Gerade bildungsferne Eltern können oft schwer unterscheiden, ob Nahrungsmittel eher gesund oder eher ungesund sind. Hier führen irreführende Bezeichnungen wie „Milchschnitte“ oder „Durstlöscher“ zu Fehlwahrnehmungen, denn diese Produkte enthalten häufig besonders viel Zucker oder Fett. Auch Sportangebote müssten forciert in diesen Bereichen angeboten werden, Geld darf hier nicht zu einer Chancenungleichheit führen.
Wenn es um einen gesundheitsbewussteren Lebensstil geht, ist der Anfang oft am schwersten und die Macht der Gewohnheit scheint unüberwindbar. Was empfehlen Sie Familien?
Maske: Zunächst mal müssen Eltern eine Vorbildfunktion einnehmen. Maßnahmen klappen in der Regel nur, wenn die ganze Familie mitzieht. Daher ist es sinnvoll, Essen gemeinsam einzunehmen und auch Sport gemeinsam zu treiben. Nahrungsmittel mit viel Zucker-, Fett- oder Salzanteilen sollten erst gar nicht gekauft werden.
Um die pädiatrische Versorgung in Berlin ist es trotz bereits erfolgter zusätzlicher Zulassungen nicht zum Besten bestellt. Der Berliner Senat möchte nun ein Sonderinvestitionsprogramm zur Stärkung der Kinderkliniken aufsetzen, plant den Neubau einer Kinderklinik und möchte in 24h-Kindernotdienstpraxen in allen Bezirken schaffen? Sind das auch Ihrer Sicht richtige und realistische Schritte? Was muss aus Ihrer Perspektive mit Blick auf die Versorgung von Kindern bei der Krankenhausreform berücksichtigt werden?
Maske: Die Lage wird nicht besser, wenn wir einfach nur das Angebot erhöhen. Wichtig wäre eine Steuerung der Patienten, damit nicht jede Kleinigkeit in einer Notfallambulanz vorgestellt wird, so wie das jetzt teilweise der Fall ist. Berlin ist gut versorgt mit Notdienstpraxen, das System funktioniert. Eine Ausweitung durch die Niedergelassenen würde zu Ausfällen in der Regelversorgung führen und erscheint daher nicht sinnvoll.
In allen Fachgruppen wird es in den kommenden Jahren vermutlich einen Ärztemangel geben. Was macht gerade Ihre Tätigkeit so reizvoll, dass sich Medizinstudentinnen und -studenten für den Beruf des Kinderarztes beziehungsweise der Kinderärztin entscheiden sollten?
Make: Das Fach der Pädiatrie gehört immer noch zu einem der beliebtesten Fachgebiete. Der große Anteil der präventiven Arbeit gibt der Arbeit auch für das spätere Leben der Kinder und Jugendlichen einen nachgewiesenen medizinischen Sinn. Die Kombination aus Arbeit mit den Kindern und mit den Eltern ist abwechslungsreich und wird meist durch fröhliche Kinder belohnt.
Dennoch gibt es auch im ambulanten Bereich der Kinder- und Jugendheilkunde immer mehr Dinge, die junge Ärztinnen und Ärzte von einer Niederlassung abhalten. Dazu gehört vor allem die ausschweifende Bürokratie und die unverständliche Honorierung, die selten an die steigenden Kosten angepasst wird. So müssen junge Ärztinnen und Ärzte immer noch mit einer GOÄ von 1996 arbeiten und sehen, dass Kosten wie Lohnkostenerhöhungen, Inflation etcera nicht gegenfinanziert werden.
Dr. Jakob Maske ist Kinderarzt in Berlin-Schöneberg uns Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (bvkj).