Die Klimakrise verursacht längere und intensivere Hitzeperioden. Allein in Berlin und Brandenburg gab es zwischen den Jahren 2018 und 2020 rund 1.400 Hitzetote. Im vergangenen Jahr wurde daher das "Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin" gegründet. Es geht auf die Initiative der Ärztekammer Berlin, der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und KLUG - Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. zurück Die STANDORTinfo sprach mit Ärztekammerpräsident Dr. Bobbert über die Arbeit des Aktionsbündnisses.
Herr Dr. Bobbert, zwischen den Jahren 2018 und 2020 gab es allein in Berlin und Brandenburg rund 1.400 Hitzetote. Wie gut sind wir in Berlin auf mögliche Hitzewellen in diesem Sommer vorbereitet?
Bobbert: Wir müssen auf alle Fälle besser vorbereitet sein. Geschätzt 1.400 Hitzetote sind inakzeptabel. Deswegen wurde im März 2022 das „Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin“ zum Schutz von Patientinnen und Patienten und der Bevölkerung auf Initiative der Ärztekammer Berlin, der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und KLUG - Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. ins Leben gerufen. Damit nimmt Berlin eine Vorreiterrolle ein, denn bisher gibt es keine Großstadt und kein Bundesland in Deutschland, wo die Gesundheitsakteure eine zentrale Rolle in der Erstellung und Umsetzung von Hitzeschutzplänen bei extremer Hitze übernehmen. Die auf der Website des Aktionsbündnis Hitzeschutz kostenfrei angebotenen Musterhitzeschutzpläne richten sich an fünf Sektoren des Gesundheitswesens: Krankenhäuser, ambulante Praxen, Bezirksämter, stationäre Pflege und ambulante Pflege. Die Musterhitzeschutzpläne dienen als Grundlage für die Erstellung individueller Hitzeschutzpläne in Einrichtungen bzw. Arbeitsbereichen des Berliner Gesundheitswesens. Dieses Jahr sollen Hitzeschutzmaßnahmen möglichst in die Breite der Berliner Bevölkerung getragen werden. Die Bevölkerung soll informiert werden, was konkret in Hitzeperioden zu tun ist. Wir von der Ärztekammer Berlin sind der Überzeugung, dass Hitzeschutz Teil der Daseinsvorsorge ist. Daher ist hier der neue Berliner Senat ganz besonders gefragt.
Sie erwähnten es eben schon, auf Ihrer Website stellt das Aktionsbündnis Hitzeschutz umfangreiches Schulungsmaterial und Hitzeschutzpläne zur Verfügung. Wie stark ist das Interesse an den Materialien und werden die Hitzeschutzpläne in der Realität umgesetzt?
Bobbert: Im vergangenen Jahr hatte die Website des Aktionsbündnisses Hitzeschutz insgesamt über 25.000 Zugriffe. Die Unterseite Musterhitzeschutzpläne wurde über 5.000 Mal aufgerufen, die Unterseite Schulungsmaterial rund 3.600 Mal. Im Mai werden wir im Rahmen eines erneuten Workshops zum Thema Hitzeschutz in der Ärztekammer Berlin mit allen Beteiligten aus dem Berliner Gesundheitswesen eine Auswertung vornehmen und weitere Ziele definieren. In Anbetracht der verhältnismäßig kurzen Zeit, die es das Aktionsbündnis gibt, sind wir bereits weit gekommen, wie ich finde. Natürlich müssen wir nun weiter an der konkreten Umsetzung arbeiten. Doch wir konnten für das wichtige Thema bundesweit sensibilisieren. Es tut sich was.
Von Ihnen stammt die Aussage „Hitzeschutz ist eine zutiefst solidarische und gemeinschaftliche Aufgabe“. Warum und welche Aufgaben ergeben sich für wen?
Bobbert: Hitzeschutz beginnt in der direkten Nachbarschaft. An besonders heißen Tagen sind wir alle dazu aufgerufen, einen aufmerksamen Blick auf unser Umfeld zu haben – insbesondere auf vulnerable Gruppen wie Ältere, kranke Menschen, aber auch Kinder. Wenn sie wissen, dass bei Ihnen in der Nachbarschaft jemand alleine wohnt und vielleicht auch bereits älter oder krank ist, klingeln Sie und fragen Sie, ob diejenige oder derjenige Wasser braucht, ermutigen Sie dazu, dass von einer Ärztin oder einem Arzt geprüft wird, ob notwendige Medikamente eventuell gekühlt werden müssen und/oder deren Einnahme angepasst werden sollte. Fragen Sie, wie Sie helfen können. Hitze betrifft uns alle. Wenn wir aufeinander achtgeben, können wir die negativen Folgen von extremen Temperaturen effektiv mindern.
Nun kämpft das Gesundheitswesen ja nicht nur gegen die gesundheitlichen Folgen der Klimakatastrophe, sondern ist auch ein großer Verursacher. Rund fünf Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland geht vom Gesundheitssektor aus, das ist weit mehr als der gesamte Flugverkehr. Welchen Beitrag können die Berliner Krankenhäuser und Praxen für mehr Klimaschutz leisten?
Bobbert: Die über 100.000 Arztpraxen und rund 1.900 Krankenhäuser in Deutschland bieten ein hohes Potenzial zum Einsparen von Energie und Ressourcen. Der Klimawandel ist ein urärztliches Thema: So besagt schon der Paragraph 1 (2) der ärztlichen Berufsordnung: „Ärztliche Aufgabe ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen […]“. Wir haben die einzigartige Möglichkeit, in der Beratung unserer Patientinnen und Patienten zum klima- und umweltfreundlichem Verhalten zu animieren. Gleichzeitig gilt es, den Einfluss der Ärzt:innenschaft auf eine klimafreundliche Gesundheitspolitik zu verstärken und die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten in Klima- und Umweltfragen zu verbessern. Klimafreundliches Verhalten fängt beim Einsparen oder der Wiederverwendung von Gebrauchsmaterialien an, geht über die Vermeidung von Anästhesiegasen wie Lachgas und Flurane (besonders Desfluran), die zur Klimaerwärmung beitragen und durch klimafreundliche Alternativen ersetzt werden sollten, bis hin zum eigenen Verhalten: mehr Fahrrad- statt Autofahren. Da greift Klima- und Gesundheitsschutz auch ganz wunderbar ineinander. Im Krankenhaussektor muss es mehr staatliche Förderung zur Sanierung von Gebäuden geben. In Zeiten der Inflation und steigender Energiekosten können das die Häuser in der Regel nicht selbst stemmen. Dabei würden sich schnell positive Effekte einstellen. Sanierte Gebäude verbrauchen weniger Energie. Zudem braucht jede Klinik mindestens eine Klimamanager:in. Nur wenn es klare Verantwortlichkeiten gibt, bewegt sich erfahrungsgemäß etwas.
Um die langfristigen Folgen des Klimawandels auf das Ökosystems abzumildern, benötigen wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass mehr Klimaschutz notwendig ist. Die Meinungen von „Klimaleugnern“ auf der einen und „Klimaklebern“ auf der anderen Seite sind jedoch stark polarisiert. Sie haben als Arzt jeden Tag mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. Wie nehmen Sie das wahr?
Bobbert: In meinem direkten Umfeld nehme ich seit einigen Jahren eine erhöhte Sensibilität für Umweltthemen wahr. Ich habe das Gefühl, die Mehrheit der Bevölkerung hat verstanden, dass der Klimawandel eine große Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellt. Direkte Effekte, wie zum Beispiel die Zunahme von Luftverschmutzung, Mangelernährung, Zoonosen, Waldbrandexposition, extremen Wetterereignissen (Hitze, Hochwasser, Stürme) ecetera sind bereits zu beobachten. Als Ärztinnen und Ärzte haben wir die Aufgabe, wissenschaftlich begründet, klare Haltung zu zeigen und auch zu erklären, warum Klimaschutz so wichtig ist, und dass wir uns alle darauf einstellen müssen, unser Leben und unseren Lebensstil grundlegend zu ändern. Das wird nicht leicht. Darin liegt aber auch eine historische Chance. Ich sehe dieser Entwicklung sehr positiv entgegen. Denn jeder einzelne von uns kann mit seinem persönlichen Verhalten einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Hier muss nicht auf die Politik gewartet werden. Wir brauchen mehr Mut und Motivation zum Engagement.