Berlin, 16. April 2024 – In Berlin wird fast jede dritte Frau und jeder vierte Mann mit Schmerzmitteln behandelt. Im Jahr 2021 bekamen rund 476.000 Berliner Frauen und rund 365.000 Berliner Männer Schmerzmittel verschrieben. Bleiben bestimmte Vorerkrankungen oder Kombinationen mit anderen Medikamenten unberücksichtigt, können Schmerzmittel jedoch fatale Folgen für Patientinnen und Patienten haben. „Selbst vermeintlich harmlose Kopfschmerztabletten können zum Beispiel bei Menschen mit Herzschwäche zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen“, sagt Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der BARMER Berlin/Brandenburg und beruft sich auf den aktuellen Arzneimittelreport der Barmer.
Schmerzmittel können Sterberisiko bei Menschen mit Herzschwäche erhöhen
Laut Barmer-Arzneimittelreport wurden im Jahr 2021 rund 18.000 Patientinnen und Patienten in Berlin nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac verschrieben, obwohl sie an einer Herzschwäche leiden. Dabei raten die medizinischen Leitlinien genau davon ab. Denn selbst ein kurzer Einsatz dieser Schmerzmittel kann die Leistung des Herzens deutlich verschlechtern. Vermeidbare Krankenhauseinweisungen und ein erhöhtes Sterberisiko können die Folgen sein. NSAR sollten auch nicht bei eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt werden. Denn dies könnte zu akutem Nierenversagen führen.
Schmerzmittel können zu Darmverschluss führen
Ein weiteres Beispiel für riskante Arzneimittelverordnungen verdeutlicht der Arzneimittelreport am Beispiel von Opioiden. Diese starken Schmerzmittel haben die Nebenwirkung, die Darmtätigkeit zu lähmen. Die medizinischen Leitlinien sehen vor, dass zu Opioiden parallel Abführmittel verordnet werden, weil sonst ein Darmverschluss droht. Trotz dieser Empfehlung erhielten im Jahr 2021 drei von zehn Betroffenen kein Abführmittel. Jährlich müssen von 100.000 Patientinnen und Patienten mit Opioid-Therapie je nach Alter und Geschlecht zwischen 300 und 870 wegen eines Darmverschlusses ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Möglichkeiten riskanter Arzneimittelkombinationen unüberschaubar
Ist es ein Versäumnis der Ärztinnen und Ärzte, wenn es zu riskanten Arzneimittelkombinationen kommt? Dieser Vorwurf greift laut Leyh zu kurz: „Häufig erhalten Patientinnen und Patienten ihre Rezepte in verschiedenen Arztpraxen, so dass der Überblick über alle Verordnungen und Wechselwirkungen verlorengeht. Innerhalb eines Jahres werden 1.860 Wirkstoffe in 445.000 Kombinationen aus zwei Arzneimitteln verordnet. Ohne digitale Unterstützung sind die möglichen Risiken für die Ärztinnen und Ärzte unüberschaubar“, so Leyh. Eine bessere Transparenz über Arzneimittelverordnungen erhofft sich die Barmer von der elektronischen Patientenakte (ePA). Unabhängig von deren Einführung hat die Barmer in zwei Pilotprojekten softwarebasierte Lösungen getestet, die in Arztpraxen und Krankenhäusern angewendet wurden und nun ausgewertet werden.
Pilotprojekt TOP mit Berliner Kliniken wird ausgewertet
Zu den Pilotprojekten zählt TOP (Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit), welches die BARMER gemeinsam mit der AOK Nordost durchgeführt hat. Das bundesweite Projekt richtete sich mit einer speziellen Software an Krankenhäuser. Die dort behandelnden Ärztinnen und Ärzte erhielten aus Routinedaten der Krankenkasse ohne Zeitverzug alle Informationen zur medizinischen Vorgeschichte der Patientinnen und Patienten. Neben einer Liste aller verordneten Arzneimittel erstellte die Software Warnhinweise bei riskanten Arzneimittelverordnungen. Insgesamt nahmen 14 Kliniken aus sechs Bundesländern teil. Aus Berlin waren es die beiden Vivantes-Häuser Humboldt-Klinikum und das Auguste-Victoria-Klinikum. TOP wird derzeit evaluiert. Zuvor wurde die gleiche Software gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe im Projekt AdAM getestet. AdAM steht für Anwendungen für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management. Dabei wurden in 940 Hausarztpraxen rund 11.000 Patientinnen und Patienten betreut, die mindestens fünf Medikamente parallel einnahmen. In 6.400 Fällen wurden Arzneimittelkombinationen festgestellt, die potenziell zum Tod hätten führen können. Rechnet man diese Zahl auf das gesamte Bundesgebiet hoch, wären das jährlich 65.000 bis 70.000 vermeidbare Todesfälle.