Mit dem vorzeitigen Ende der Ampel-Koalition steht die Reform der Notfallversorgung zumindest vorerst nicht mehr auf der Agenda. Noch am Nachmittag des 6. November beriet der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages in öffentlicher Anhörung über das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung. Wenige Stunden später brach die Ampel-Koalition auseinander. Doch die Reform der Notfallversorgung bleibt dringend notwendig. Die Notaufnahmen sind vielerorts überfüllt, die Rettungsdienste fahren viele Bagatelleinsätze und wer akut medizinische Hilfe benötigt, muss unter Umständen lange warten. Einigkeit besteht über den Ansatz, die drei Säulen ärztlicher Notdienst, Notaufnahmen in Krankenhäusern und Rettungsdienst besser zu verzahnen. Wer diesen Weg gehen will, sollte einen Blick nach Brandenburg werfen. Denn hier wurden einige Schritte in diese Richtung schon unternommen. Die Standortinfo sprach hierüber mit Holger Rostek, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB).
Herr Rostek, die Notfallreform sah vor, dass die Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen, die über die 116117 erreicht werden, mit den Rettungsleitstellen der 112 digital vernetzt werden. Die KVBB ist bereits in diese Richtung gegangen. Wie weit sind Sie bereits beim Thema digitale Vernetzung und was planen Sie noch?
Rostek: Wir sind bereits sehr eng mit den fünf Rettungsleitstellen im Land Brandenburg vernetzt. Anrufende, die nicht lebensbedrohlich erkrankt sind, werden von dort an unseren Patientenservice 116117 übergeben. Dies funktioniert auch in die andere Richtung. Sollte sich bei der Einschätzung des Krankheitsbildes in der 116117 ergeben, dass ein gegebenenfalls lebensbedrohlicher Zustand vorliegt, wird der Fall sofort digital an die zuständige Leitstelle der 112 übergeben. Die digitale Vernetzung von 116117 und 112 ist damit in Brandenburg bereits gelebte Realität. Darüber hinaus stehen wir mit dem Leitstellenpersonal in regelmäßigen Abstimmungs- und Feedbackrunden auch in einem engen persönlichen Austausch.
Zweiter Bestandteil des Reformvorhabens war die Schaffung von Integrierten Notfallzentren (INZ) an Krankenhäusern. An einem gemeinsamen Tresen sollten die Patientinnen und Patienten ersteingeschätzt und dann entsprechend ihres Bedarfs in einer Notdienstpraxis beziehungsweise einer eng angebundenen Kooperationspraxis oder in der Notaufnahme des Krankenhauses behandelt werden. In Brandenburg gibt es bereits an 19 Krankenhäusern angegliederte KV-Bereitschaftspraxen. Welche messbaten Effekte ergeben sich hierdurch in der Versorgung?
Rostek: Schon heute versorgen wir in enger Kooperation mit den Krankenhäusern in den 19 Bereitschaftsdienstpraxen über 115.000 Patienten im Jahr. An den meisten Standorten gibt es bereits einen gemeinsamen Tresen, an denen die Patientinnen und Patienten in die optimale Versorgungsebene, also Notaufnahme oder Bereitschaftsdienstpraxis, gesteuert werden. Wir leben auch in diesem Bereich schon die enge Kooperation, die im Gesetz gefordert wird! Hierdurch entlasten wir deutlich die Notaufnahmen.
Gibt es in Brandenburg die Möglichkeit, über die Webseite www.116117.de eine digitale Selbsteinschätzung bei medizinischen Beschwerden vorzunehmen?
Rostek: In Brandenburg wird diese Plattform nicht genutzt, sondern die Patienten erhalten telefonisch eine individuelle Unterstützung und Beratung.
Ein häufiger Kritikpunkt am deutschen Gesundheitssystem lautet, dass es zu arztzentriert sei. Wo sehen Sie in der Notfallversorgung die größten Potentiale, andere Gesundheitsberufe in eigenverantwortlicher Tätigkeit einzusetzen?
Rostek: Die Notfallversorgung bietet Potenzial, andere Gesundheitsberufe stärker einzubinden, z. B. bei der Triage, der Versorgung von Bagatellfällen oder der Nachsorge. Dies würde die Versorgung effizienter gestalten und Ärzte entlasten, ohne die Patientensicherheit zu gefährden. Voraussetzung dafür sind klare rechtliche Rahmenbedingungen, angepasste Vergütungsmodelle und eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit. Gleichzeitig bleibt die ärztliche Steuerung essenziell, um die Behandlungsqualität zu sichern.
Wie wird Telemedizin in Zukunft die Akut- und Notfallversorgung in Brandenburg verbessern?
Rostek: Telemedizin kann ein Baustein in der medizinischen Versorgung sein. Sie kann bei der Behandlung unterstützen, aber den persönlichen Kontakt meist nicht vollständig ersetzen. Daher muss auch bei einer telemedizinischen Behandlung die gegebenenfalls notwendige persönliche Betreuung bei Bedarf gesichert ein. Daher gehört die Telemedizin als Baustein in ein Versorgungskonzept, kann aber nicht als alleinige Lösung für unsere Probleme dienen.
Grundsätzlich regelt das SGB V, welche Ansprüche Versicherte an die Krankenkassen haben, etwa im Falle von Krankenhausbehandlung, Zahnbehandlung oder Rehabilitation. Bei der notärztlichen Versorgung des Rettungsdienstes ist das nicht der Fall. Hier gelten die Rettungsdienstgesetze der Bundesländer. Innovative Versorgungsmodelle, einheitliche Standards und Effizienzsteigerungen sind so nicht durchzusetzen. Die Krankenkassen fordern deshalb eine Überführung des Rettungsdienstes ins SGB V. Können Sie sich dieser Forderung anschließen?
Rostek: Ob allein eine Verschiebung der Regelungen in ein Bundesgesetz die Versorgung im Notfall verbessert, bezweifle ich. Wir benötigen regionale Lösungen, die ausreichend finanziert sind und in das regionale Versorgungsangebot passen. Als Beispiel nenne ich nur das Problem, dass Rettungsfahrten nur im Krankenhaus enden dürfen oder können – ansonsten werden diese nicht bezahlt. Ein Transport in eine ambulante Praxis ist daher praktisch nicht möglich. Die ist z.B. dringend zu ändern, egal in welchem Gesetzbuch, gern im Sozialgesetzbuch V.