Mehr als sieben Prozent der bayerischen Frauen im gebärfähigen Alter bekommen potenziell kindsschädigende Arzneimittel verordnet, sogenannte Teratogene. Laut aktuellem Arzneimittelreport der Barmer betrifft das in Bayern jährlich mehr als 200.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren. Problematisch wird die Einnahme entsprechender Medikamente ab dem Beginn einer Schwangerschaft. "Die grundsätzliche Verordnung von teratogenen Arzneimitteln vor einer Schwangerschaft ist nicht das Problem. Vor allem dann nicht, wenn verhütet wird. Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf aber kein teratogenes Arzneimittel mehr zum Einsatz kommen," sagt Professorin Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern.
Starke teratogene Arzneimittel für mehr als 16.000 Frauen in Bayern
Nicht alle riskanten Wirkstoffe seien im selben Maße gefährlich. Es gebe aber "unzweifelhaft starke" Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos auf bis zu 30 Prozent erhöhen, so Wöhler. In Bayern haben im Jahr 2018 mehr als 16.000 Frauen im gebärfähigen Alter ein starkes teratogenes Arzneimittel verordnet bekommen. "Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte passen die Arzneimitteltherapie an die Schwangerschaft zwar sehr wohl an. Das belegen die zurückgehenden Verordnungszahlen von teratogenen Arzneimitteln. Allerdings liegen die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent. Das ist viel zu wenig", sagt Wöhler.
Barmer fordert Medikationsplan für junge Frauen
"Um den Schutz zu verbessern, sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten", fordert Wöhler. Aktuell bestehe dieser erst, wenn mindestens drei Medikamente dauerhaft gleichzeitig eingenommen werden.
Derzeit werde die Arzneimitteltherapie unzureichend dokumentiert. Das führe zu gefährlichen Informationslücken zu Beginn der Schwangerschaft. Vor allem für Gynäkologinnen und Gynäkologen sei es schwer bis unmöglich, rechtzeitig teratogene Arzneimittel abzusetzen. "Mit einem Medikationsplan schon ab dem ersten dauerhaft eingenommenen Medikament kann das Risiko für das ungeborene Leben bei einer notwendigen teratogenen Medikation massiv reduziert werden", betont Wöhler. Eine bundesweite Befragung von über 1.000 Frauen nach der Entbindung zu ihrer Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft für den Arzneimittelreport zeigt, dass vor und nach der Schwangerschaft die Hausärzte die Hauptverordner von Arzneien sind. Während der Schwangerschaft übernimmt der Gynäkologe die Funktion des Hauptansprechpartners für Fragen zur Arzneimitteltherapie . "Adäquat beraten können Gynäkologinnen und Gynäkologen nur, wenn die Medikation bekannt ist. Insofern ist es problematisch, dass nur 14 Prozent der befragten Frauen mit Arzneimitteltherapie angaben, einen Medikationsplan zu besitzen."
Barmer erprobt Frühwarnsystem
Die Barmer treibt mehrere Projekte voran, bei denen es auch darum geht, dass riskante Verordnungen bei Schwangeren zu "never events" werden. Das sind Ereignisse, die grundsätzlich vermeidbar sind und solche katastrophalen Konsequenzen haben, dass sie nie auftreten dürfen. Diese Klassifizierung von Ereignissen erfolgt so bereits in Großbritannien. In Deutschland soll es durch das geplante Projekt eRIKA zur Arzneimittelsicherheit künftig möglich werden, dass Ärztinnen und Ärzte bereits beim Ausstellen eines Rezeptes automatisch Hinweise auf Arzneimittel erhalten, die in der Frühschwangerschaft problematisch sein können. Auch eine patientenfokussierte digitale Anwendung soll bereitgestellt werden, um ergänzend Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, derartige Warnhinweise zu geben.