München, 24. Januar 2021 – Hochgerechnet mehr als 4.000 Pflegekräfte pro Jahr fehlen in Bayern durch Krankheit und Frühverrentung, davon rund 3.800 aufgrund von Krankheit und 250 durch Frühverrentung. Mit einer Verbesserung der Arbeitssituation und -organisation für das Pflegepersonal und der damit einhergehenden Absenkung der krankheitsbedingten Ausfalltage könne dem Personalmangel entgegengewirkt werden. Das zeigen die Ergebnisse des aktuellen Pflegereportes der Barmer für Bayern. So wurden im Freistaat 2017 mehr als 123.000 Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen von rund 106.800 Pflegekräften versorgt. Von ihnen arbeiteten mehr als die Hälfte (rund 53 Prozent) in Teilzeit. "Die Arbeitssituation in der Pflege kann die Gesundheit der Beschäftigten massiv angreifen. Wenn Pflegekräfte krankheitsbedingt ausfallen, werden Kolleginnen und Kollegen zusätzlich belastet. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden, zumal die Corona-Pandemie die angespannte Arbeitssituation der Pflegekräfte noch einmal verschärft", fordert Professorin Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern.
Berufsgruppen: Personal in Pflegeheimen häufiger krank
Könne die Arbeit aufgrund von unzureichender Personalausstattung nicht geschafft werden, ist eine erhöhte Beanspruchung der Pflegekräfte bis hin zur Überlastung die Folge. Das wiederum führe zu vermehrten Fehlzeiten oder sogar zum Berufsaustritt. Im Ranking der Berufsgruppen liegt das Personal in Pflegeheimen in Bayern bei den krankheitsbedingten Fehlzeiten mit durchschnittlich 25,5 Ausfalltagen pro Jahr an erster Stelle. Diese Entwicklung zeigt sich auch ganz aktuell: in keiner anderen Berufsgruppe Deutschlands sind so viele Beschäftigte am Corona Virus erkrankt wie in der Altenpflege. Dies geht aus einem aktuellen Branchenvergleich der BARMER hervor. So waren im vierten Quartal vergangenen Jahres in Bayern 11,1 je 1.000 Barmer-versicherten Erwerbstätigen in der Altenpflege wegen einer Covid-19-Infektion krankgeschrieben. (Bundesweit 7,6 je 1.000 BARMER-versicherte Erwerbstätige in der Altenpflege).
Planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten und -bedingungen erforderlich
Bessere Arbeitsbedingungen zeichneten sich nicht nur durch eine angemessene Vergütung, sondern vor allem durch möglichst planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten aus. Auf 100 stationär versorgte Pflegebedürftige kamen in Bayern 2017 28 Pflegefachkräfte und 20 Pflegehilfskräfte. In Baden-Württemberg waren es im Vergleich dazu 31 Pflegefachkräfte und 14 Pflegehilfskräfte je 100 Pflegebedürftige. Der Bundesdurchschnitt lag bei 27 zu 17. Fast 80 Prozent unter ihnen sind Frauen, davon mehr als 30 Prozent über 55 Jahre alt. Ein Großteil der geleisteten Arbeitsstunden in den bayerischen Pflegeheimen wird von Teilzeitkräften geleistet. Denn nur ein Drittel (33,8 Prozent) Prozent dieser Pflegekräfte sind in Vollzeit angestellt.
Pflegekräfte leiden unter physischen Belastungen und Termin- und Leistungsdruck
Die Beschäftigten in der Altenpflege leiden unter höheren physischen Belastungen als viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So arbeiten sie häufiger im Stehen und müssen schwerer tragen und heben. Doch damit nicht genug: Pflegekräfte stehen auch stärker unter Termin- und Leistungsdruck als Beschäftigte in vielen anderen Branchen. Damit haben sie häufiger das Gefühl bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen zu müssen. In der Corona-Pandemie haben sich diese Bedingungen noch einmal verschärft. Da es sehr schwierig ist Fachpersonal zu akquirieren, ist es umso wichtiger, für die Gesunderhaltung der aktuell Beschäftigten zu sorgen, in digitale Assistenzsysteme zu investieren und die gesamte Organisation der Pflege auf den Prüfstand zu stellen. Bei unzureichender Personalausstattung und Organisation fallen für die Beschäftigten immer mehr Überstunden an, die Dienstpläne können nicht verlässlich eingehalten werden, Pflegekräfte werden regelmäßig ‚aus dem Frei‘ gerufen.
Rückenschmerzen, Belastungsstörungen, Depressionen
Die Arbeitssituation in der Pflege greift die Gesundheit vieler Beschäftigter massiv an. Mit den höheren Belastungen kommt es häufiger zu Erkrankungen des Muskelskelettsystems, insbesondere des Rückens, Belastungsstörungen und Depressionen. In Bayern fehlten 2017 stationäre Pflegerinnen und Pfleger in der Altenpflege durchschnittlich 30 Arbeitstage, im restlichen Bundesgebiet nur 28 Tage. Schaut man jedoch auf die bundesweiten Auswertungen nach Berufsbranchen rangiert die Berufsgruppe der Altenpflegekräfte in Heimen bundes-, als auch bayernweit mit der Anzahl Ihrer Fehltage an oberster Stelle. In den Jahren 2016 bis 2018, waren den Ergebnissen des Pflegereports zufolge bayernweit 8,4 Prozent (Bund: 8,7 Prozent) aller Hilfskräfte und 7 Prozent (Bund: 7,2 Prozent) der Fachkräfte in der Altenpflege krankgeschrieben. In anderen Berufen lag der Krankenstand in Bayern im Schnitt bei 4,3 Prozent (Bund: 5,0 Prozent). Zudem mussten Pflegekräfte erkrankungsunabhängig häufiger und länger im Krankenhaus behandelt werden als andere Erwerbstätige. "Der Pflegeberuf ist so kraftraubend, dass zudem überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten. Weitere Untersuchungen haben festgestellt, dass eine Pflegekraft nur etwa 8,4 Jahre in der Altenpflege arbeitet und der Anteil an Pflegekräften mit einer Erwerbsminderungsrente bis zu doppelt so hoch ist, als in sonstigen Berufen. Hier müssen wir gegensteuern", sagt Wöhler.
Arbeitsbedingungen verbessern, Ausbildungsoffensive starten
Die Arbeitsbedingungen in der Pflege können nicht so bleiben, wie sie sind. "Neben geregelten Arbeitszeiten müssen die Arbeitgeber auch stärker auf Vorsorge setzen. So müssen Präventionsangebote für die Beschäftigten in den einzelnen Einrichtungen zum Standard werden", sagt Wöhler. Mit gezielten Trainings gegen Rückenprobleme oder psychischen Stress könne Einiges erreicht werden. Um die Situation in der Pflege zu verbessern, sei allerdings ein Maßnahmenpaket erforderlich, ergänzt sie. "Eine Aus- und Weiterbildungsoffensive ist in den Pflegeberufen zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber hat hier mit der Konzertierten Aktion Pflege, die bis zum Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen vorsieht, einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings richtet sich der Fokus dabei nur auf Pflegefachkräfte. Das reicht nicht aus", so die Barmer-Landeschefin. Die Pflegedienste und -heime müssten auch verstärkt Ausbildungsplätze für Pflegehilfskräfte anbieten.
Pflege und Betreuung brauchen Verlässlichkeit und Kontinuität
Die Personalausstattung mit Fachkräften in bayerischen Pflegeheimen ist im bundesweiten Vergleich gut, die benötigten zusätzlichen Assistenzkräfte zur Unterstützung der Fachkräfte werden nun noch hinzukommen. "Prävention ist ein entscheidender Faktor, um Mitarbeitende zu schützen und beginnt in der Pflege mit verlässlichen Dienstplänen. Mit der Entwicklung von Ausfallkonzepten, zum Beispiel sogenannten "Springerpools", könnten wir dazu beitragen, dass auch im Fall von Personalengpässen die Stammbelegschaft zum Einsatz kommt," sagt Kai, Kasri, Landesvorsitzender des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa). "Die eigenen Mitarbeitenden kennen den Betrieb, die Abläufe sowie die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeeinrichtung. Pflege und Betreuung brauchen Verlässlichkeit und Kontinuität", fordert Kasri. Die in den vergangenen Jahren stark angestiegene Leiharbeit in der Pflege trägt nicht zur Prävention bei und ist deutlich zu reduzieren. Das in der bundesweiten Konzertierten Aktion Pflege (KAP) erklärte Ziel, Stammbelegschaften im Betrieb halten zu können, droht durch den massiven Einsatz von Leiharbeit verfehlt zu werden. Die Entwicklung weiterer betrieblicher Präventionsangebote für Mitarbeitende, die eine Regelfinanzierung durch die Krankenkassen erhalten, ist auch in Zukunft die gemeinsame Aufgabe von Leistungserbringern, Kostenträgern und Berufsgenossenschaften.