München, 21. September 2020 – Die Corona-Pandemie ist ein Härtetest für die Zusammenarbeit der einzelnen Bundesländer, sie zeigt die Stärken und die Schwächen des föderalen Systems. Dieser Stresstest berge aber auch die Möglichkeit, Lehren aus der Pandemie zu ziehen, um das Gesundheitswesen zu verbessern. Das sagten heute die Landeschefs der Barmer Baden-Württemberg und Bayern bei ihrem 4. Länderforum Gesundheit. Die Veranstaltung fand in diesem Jahr erstmals online statt. "Der Föderalismus macht Deutschland bei der Bekämpfung der Pandemie flexibel. Die Länder und Kommunen können auf regionale Infektionszahlen mit regionalen Maßnahmen reagieren. Hier bewährt sich die innerdeutsche Aufgabenteilung", sagt der Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg, Winfried Plötze. Dagegen würde sich der Sinn von unterschiedlichen Pandemieplänen und Teststrategien der Länder nicht erschließen. "Welches gemeinsame Ziel verfolgen wir, wenn Baden-Württemberg auf das Testen von Risikogruppen, Ärzten und Pflegepersonal setzt und sich in Bayern jeder auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen auf das Coronavirus testen lassen kann?" Hier solle der Bund eine einheitliche Marschrichtung vorgeben.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Reformen
"Die Pandemie zeigt, dass gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für Reformen ist. Diese immer unter der Prämisse der Qualität der Versorgung", stellt Professor Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern fest. Es habe sich gezeigt, dass in der Hochphase der Pandemie die Intensivstationen der Krankenhäuser nicht überlastet waren. Denn nur wenige Kliniken, die gleichzeitig ausreichend mit Intensivbetten ausgestattet sind, hätten die Behandlung von schweren COVID-19-Patienten sichergestellt. "Dies ist eine wichtige Erkenntnis für eine zukünftige Strukturreform im Krankenhausbereich," so Wöhler. "Auch die ambulanten Versorgungsstrukturen haben einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der COVID-19-Patienten geleistet." Für die Digitalisierung des Gesundheitswesens sei die Pandemie eine Schubrakete gewesen. Die Videosprechstunde beim Arzt boomte während der Kontaktbeschränkungen. "Diese Pandemie sollte für die Überwindung der Sektorengrenzen und die weitere Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ein Initialfunke sein",, so Wöhler.
Föderalismus darf die Behandlungsqualität nicht verwässern
Der Föderalismus ist auf die Kooperation zwischen Bund und Ländern angelegt. Im Gesundheitswesen zeigt dieser Grundsatz aber Schwächen. So braucht eine solide Klinikplanung einheitliche Qualitätsvorgaben. Dass diese vom Bund kommen, ist sinnvoll. Denn jeder muss sich immer und überall darauf verlassen können, die beste Behandlung zu bekommen. Ganz egal, in welchem Bundesland sich ein Krankenhaus befindet. Doch Bayern und Baden-Württemberg lehnen die planungsrelevanten Qualitätsindikatoren des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) ab. Dadurch wird an kleinen Kliniken festgehalten, welche die Qualitätsvorgaben des G-BA nicht erfüllen. Für Wöhler und Plötze ist das landespolitisches Kirchturmdenken, zu Lasten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Eine bessere Versorgung, die sich am tatsächlichen Bedarf der Patienten orientiert, werde es nicht geben, wenn zu viele Kliniken dieselben Leistungen in geringer Fallzahl anbieten. Bund und Länder sollten sich bei ihren Beratungen zu Aspekten der Qualitätssicherung besser abstimmen und Beschlüsse einheitlich umsetzen, so die beiden Barmer-Landeschefs. Außerdem sollten in den Kommunen mehr sozioökonomische Daten erhoben werden, um die medizinische und pflegerische Versorgung vor Ort sinnvoll zu planen. Auf Basis dieser Daten könnte auf regionalen Anforderungen passgenau reagiert werden. Etwa bei der Schaffung von Kurzzeitpflegeplätzen. Das wäre gelebter Föderalismus.
Zum Länderforum Gesundheit
Das Länderforum Gesundheit ist eine gesundheitspolitische Veranstaltung, welche die Barmer Landesvertretungen aus Bayern und Baden-Württemberg seit 2017 gemeinsam ausrichten. Dabei tauschen sich Experten aus Politik und Gesundheitswesen über die Landesgrenze hinweg zu einem relevanten Thema aus. Das 4. Länderforum Gesundheit trägt die Überschrift "Spannungsfeld Föderalismus: Haben sich die regionalen Spielräume für die Gesundheitsversorgung in der Corona-Krise bewährt?" Die Teilnehmer sind:
- Prof. Dr. med. Reinhard Busse, Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin
- Bernhard Seidenath (CSU) MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit und Pflege
- Rainer Hinderer (SPD) MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Soziales und Integration sowie Mitglied des Innenausschusses und Sprecher für Gesundheitspolitik der SPD-Fraktion in Baden-Württemberg
- Michael Hennrich MdB, Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Mitglied im Gesundheitsausschuss
- Prof. Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern
- Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg