Deggendorf, 18. Juli 2019 – Was bedeutet bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung in Bayern in Gegenwart und Zukunft? Diese Frage diskutierten heute mehr als 150 Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Gesundheitswesen beim 16. Barmer-Forum in der Technischen Hochschule Deggendorf. Ihr Fazit: Gesundheitsversorgung ist nur bedarfsgerecht zu gewährleisten, wenn sie künftig über Sektorengrenzen hinweg geplant und vergütet wird. "Wir müssen endlich dahin kommen, dass der Patient vor Ort das bekommt, was er tatsächlich benötigt. Ein Ansatzpunkt dafür ist es, die heutige Kapazitätsplanung nach Arztsitzen oder Bettenzahlen mittelfristig durch eine Planung zu ersetzen, die sich am tatsächlichen medizinischen Bedarf der Bevölkerung in einer Region orientiert", forderte Professor Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Bayern.
Echte Strukturveränderungen für mehr Qualität und Patientensicherheit
Die zunehmende Multimorbidität aufgrund der Alterung der Gesellschaft und die Diagnose- und Therapierbarkeit von immer mehr Erkrankungen stellt das Gesundheitssystem nicht nur vor finanzielle, sondern auch vor große personelle und organisatorische Herausforderungen. "Echte Strukturveränderungen hin zu mehr Qualität im Gesundheitssystem erfordern intelligente Lösungen, die sich an demographischen und medizinisch-technischen Entwicklungen und den regionalen Besonderheiten Bayerns als Flächenstaat orientieren“, sagt Wöhler. Dazu müssen die Hürden zwischen ambulanter und stationärer Versorgung abgebaut werden. "Die derzeit gelebte Praxis in Bayern, den Krankenhausplan von Jahr zu Jahr fortzuschreiben und völlig unabhängig davon Arztsitze zu besetzen, verhindert eine Anpassung an die Bedarfe einer hochwertigen stationären Versorgung im 21. Jahrhundert", so Wöhler. Eine Krankenhausplanung auf der Basis von Leitlinien, Mindestmengen, Struktur- und Qualitätsvorgaben wäre hier ebenso zielführend, wie eine enge Abstimmung mit den ambulanten Möglichkeiten. Gerade in Bayern müsse es möglich sein, Menschen in Stadt und Land vor zu vielen oder minderwertigen Operationen und deren gesundheitlichen Folgen zu schützen.
Gesundheitszentren entwickeln: Zusammenarbeit von Ärzten, Kliniken und Therapeuten fördern
Das Aufbrechen sektoraler Grenzen sei gerade auf dem Lande unumgänglich. "Ländliche Krankenhäuser könnten sich zu Gesundheitszentren für die Primär- und Langzeitversorgung weiterentwickeln. Das erhält Arbeitsplätze und schafft neue Möglichkeiten in der medizinischen Versorgung aber auch in der Pflege", sagt Wöhler. Regionale Versorgungsverbünde, das heißt Kooperationen von Kliniken, Ärzten verschiedener Fachrichtungen, Apotheken, Pflegediensten und Heilmittelerbringern, sind eine weitere Möglichkeit die Patientenorientierung und Qualität in der Versorgung zu gewährleisten. Diagnostik und Therapie werden interdisziplinär und unter Einbeziehung sowohl ärztlicher als auch nichtärztlicher Heilberufe und sonstiger Gesundheitsfachberufe erbracht. "Zusammenarbeit für eine sinnvolle und hochwertige Versorgung der Patienten soll zur Selbstverständlichkeit werden. Dazu gehört auch eine lückenlose Dokumentation der Befunde und des Behandlungsverlaufs, gestützt durch digitale Technologien. Dies kann in Versorgungsnetzen besser geleistet und die Kompetenzen der Mediziner und Therapeuten besser genutzt werden", so Wöhler weiter.
Passgenaue Versorgungsangebote in Modellprojekten erproben
Sektorenübergreifende Versorgung in Bayern könne man in Modellprojekten erproben. "Wir brauchen Pilotprojekte, um Zukunftsmodelle vor Ort zu testen. Die Kommunen haben hier enormes Potential", sagt Wöhler. Die enge Zusammenarbeit von Länderministerien und Ärzten und Krankenkassen ist dazu Voraussetzung. Das verzahnen von Ärzten, Kliniken, Therapeuten, Apothekern, Pflegern, Betreuern mache die Gesundheitsversorgung der Zukunft aus.
Mehr Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung
Wie mehr Digitalisierung in die Gesundheitsversorgung kommt, analysierte Professor Dr. Wolfgang Greiner, Mitglied des Sachverständigenrates für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Der Gesundheitsökonom von der Universität Bielefeld zieht dazu das Fazit: Die Digitalisierung erfasst derzeit auch das Gesundheitswesen mit großer Geschwindigkeit. "Es ist nicht absehbar, wo wir in 5 oder 10 Jahren stehen", sagte er. Allerdings sei es für Anbieter von Gesundheitstechnologien wichtig, den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung und die Vergütung zeitnah zu regeln. "Es ist noch unklar, auf welche Weise den Evidenzanforderungen einerseits und dem schnellen Innovationstempo andererseits entsprochen werden kann", sagte Greiner.