Seit über zwei Jahren gibt es die elektronische Patientenakte (ePA). Doch kaum jemand scheint sie zu nutzen. Erklärungsversuche und Empfehlungen, wie sich die Anwenderzahlen steigern ließen, gibt es. Allerdings meist aus der Patientenperspektive. Aber was muss passieren, damit mehr Ärztinnen und Ärzte die ePA nutzen?
Mit dieser Frage hat sich Annabell Burdiak in ihrer Bachelorthesis auseinandergesetzt. Hierzu hat sie Vertreterinnen und Vertreter von Ärzteschaft, Krankenkassen und Gesundheitsökonomen in Experteninterviews befragt. "Die Technik zur Nutzung der ePA muss besser funktionieren. Und die Nutzung der ePA muss praxistauglich, sprich einfach und schnell sein." So fasst die gesundheitspolitische Referentin der Barmer die wichtigste Forderung der Ärztinnen und Ärzte zusammen. Aktuell stelle die technische Schnittstelle zwischen der Praxisverwaltungssoftware und der Telematikinfrastruktur das größte Problem dar. Es würde sehr lange dauern, bis auf die ePA zugegriffen werden könne. Bisweilen stürze sogar das gesamte System ab, sobald die elektronische Gesundheitskarte in den Konnektor gesteckt werde.
Die ePA harmoniert nicht mit der Praxisverwaltungssoftware
Um Probleme wie die zu lange Ladezeit oder einen Systemabsturz zu lösen, forderten die Interviewpartner, dass die Hersteller der Praxisverwaltungssoftware mehr in die Pflicht genommen werden. Sie müssten ihre Programme so weiterentwickeln, dass diese mit der Telematikinfrastruktur kompatibel seien. Die Hersteller aber sagen, dass diese Weiterentwicklung der Programme von den Ärztinnen und Ärzte bisher gar nicht nachgefragt werde. Eben weil diese die ePA in ihrer Praxis nicht nutzen würden. "Die Softwarehersteller verbessern ihre Programme nicht, weil die ePA nicht genutzt wird. Und die Medizinerinnen und Mediziner nutzen die ePA nicht, weil sie nicht mit der Praxisverwaltungssoftware harmoniert. An dieser Stelle haben wir einen Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen.“
Scheinargument mangelhafter Datenschutz
Der Konnektor ist die technische Schnittstelle zwischen ePA und der Praxissoftware. Und er ist ein wichtiges Element, um die in der Patientenakte enthaltenen Daten zu schützen. Der Zugriff auf die Daten erfolgt, nachdem der Patient oder die Patientin ihre individuelle PIN eingegeben und dem Arzt beziehungsweise der Ärztin eine Zugriffsberechtigung erteilt hat. Das Argument der Ärztinnen und Ärzte, sie würden die ePA aus Datenschutzgründen nicht nutzen, lässt Annabell Burdiak nicht gelten. "Nichts ist so sicher wie die ePA. Jede Akte wird einzeln verschlüsselt, und nur die Patientinnen und Patienten können die Zugriffsrechte verwalten. Der angeblich mangelhafte Datenschutz ist für mich ein Scheinargument, das von den Ärztinnen und Ärzten vorgeschoben wird, um das Nicht-Nutzen der ePA zu rechtfertigen."
Strukturierte Daten und einheitliche Standards zum Befüllen der ePA
Ein weiterer Kritikpunkt der befragten Medizinerinnen und Mediziner: Die ePA sei ein unstrukturiertes Sammelsurium an Patientendaten. "Eine Struktur ist definitiv vorhanden. In der ePA werden die Dokumente chronologisch und nach Fachrichtung geordnet abgelegt. Und es gibt eine Suchfunktion. Was aber fehlt, ist eine einheitliche Dokumentationssprache. Also eine Vorgabe, wie Daten in der ePA erfasst werden müssen, damit sie aussagekräftig sind und von allen verstanden werden. Vor allem von den Versicherten." Bei dem Gespräch darüber, wie die Daten in der ePA erfasst werden sollten, sei man schnell bei dem Thema Vergütung angelangt, sagt Burdiak. Es gibt Gebührenziffern, mit denen das erste Befüllen der ePA und Folgeerfassungen abgerechnet werden können. Doch die Vergütung sei zu niedrig, um den Aufwand abzudecken, sagten ihre Gesprächspartner. Vor allem das erste Einpflegen von Patientendaten in der ePA sei teilweise sehr aufwändig. "An dieser Stelle könnte man über eine zeitlich begrenzte Zusatzvergütung nachdenken, die für das erste Befüllen der ePA bezahlt wird. Irgendwann aber wäre dieser Bonus obsolet. Nämlich dann, wenn das System läuft und alle Unterlagen von Anfang an in der elektronischen Patientenakte gespeichert werden." Laut ihrer Interviewpartner müsse dieses Entgelt zudem an Kriterien geknüpft werden, damit sichergestellt wird, dass die Qualität der erfassten Daten einheitlichen Standards folgt. "Letztendlich denke ich aber, dass wir nicht mehr Geld, sondern bessere Prozesse brauchen, um dieses Problem zu lösen. Es muss in Zukunft möglich sein, dass die Patientendaten automatisch über die Praxissoftware in die ePA übertragen werden. Das wäre eine echte Arbeitserleichterung für die Ärztinnen und Ärzte."
Rechtlicher Handlungsrahmen muss definiert werden
Ein weiterer Hemmschuh ist die Haftung. "Nehmen wir einmal an, ein behandelnder Arzt hat sich nicht alle Dokumente durchgelesen, die in der ePA seines Patienten enthalten sind. Es kommt zu einer Komplikation, vielleicht zu einer Wechselwirkung von Arzneimitteln. Dann stellt sich heraus, dass diese Wechselwirkung hätte vermieden werden können, wenn der Arzt vorab alle Dokumente in der ePA gelesen hätte. Wird der Arzt dann haftbar gemacht? Das ist bisher nicht klar geregelt und fördert die Skepsis der Ärztinnen und Ärzte gegenüber der ePA", sagt Annabell Burdiak. An dieser Stelle sei das Bundesgesundheitsministerium gefordert, den rechtlichen Haftungsrahmen bei der Nutzung der elektronischen Patientenakte genau zu definieren.
Die Interviews hätten ihr gezeigt, wo bei den Ärztinnen und Ärzten der Schuh drückt, sagt Annabell Burdiak. Einiges könne sie nachvollziehen, alles aber nicht. Die Ärzteschaft sei über die Kassenärztliche Bundesvereinigung in die Entwicklung der elektronischen Patientenakte eingebunden. Wenn die ePA nun nicht praxistauglich sei, dann sei das demnach kein reines Fremdverschulden. "Die Ärztinnen und Ärzte haben auch eine gewisse Eigenverantwortung. Nämlich dahingehend, sich über die elektronische Patientenakte zu informieren und sich Wissen anzueignen. In meinen Gesprächen wurde auch gefordert, dass die Krankenkassen ePA-Schulungen anbieten sollten. Das machen wir bereits. Aber dieses Angebot muss auch genutzt werden."
Die Bundesregierung plant die Einführung einer sogenannten Opt-Out-Lösung. Dann erhalten alle GKV-Versicherten einen ePA, wenn sie nicht von ihrem Opt-Out Gebrauch machen und ausdrücklich widersprechen. „In Dänemark zum Beispiel hat die Opt-Out-Lösung die Einführung der elektronischen Patientenakte beschleunigt. Nun gilt es, dieses Verfahren in Deutschland mit einem sinnvollen Konzept umzusetzen, das die Anforderungen und Gegebenheiten des Praxisalltags berücksichtigt.“ Hoffentlich verleiht das der ePA Flügel. Auch in Deutschlands Arztpraxen.
Weitere Informationen über die elektronische Patientenakte finden Sie hier.