Vor drei Jahren zog Norbert Knopf für die Grünen in den baden-württembergischen Landtag ein. Er ist Mitglied im Sozial-, Finanz- und Wissenschaftsausschuss und Sprecher seiner Fraktion für Gesundheitswirtschaft und Hochschulmedizin. Norbert Knopf widmet sich ganz der Landespolitik. Dafür lässt der gebürtige Mannheimer seinen Job derzeit ruhen. Statt sich bei der AOK Baden-Württemberg um die Krankenhausabrechnung zu kümmern, beschäftigt er sich im Landtag mit der Krankenhausreform.
Herr Knopf, in einer Landtagsrede haben Sie die mangelhafte Investitionskostenförderung des Landes kritisiert und eine Erhöhung des Landesbasisfallwerts gefordert. Von beidem würden die Krankenhäuser profitieren. Aber Erstgenanntes würde das Land und Zweitgenanntes die Krankenkassen sehr viel Geld kosten. Wie viele Freunde haben Sie nach dieser Rede bei der AOK und in der Politik verloren?
(lacht) Gar keine. Die hatten auch schlicht keine Gegenargumente. In den letzten zehn Jahren haben die Kliniken zwar über Sonderprogramme mehr Geld vom Land erhalten. Aber die Investitionskosten sind nie substanziell erhöht worden. Das muss die Politik besser machen. Und auch bei den Erlösen gibt es ein Delta. Weil die Ausgaben der Krankenhäuser gestiegen sind, etwa durch die hohen Energiepreise, und weil sie bis heute weniger Patientinnen und Patienten behandeln als vor der Pandemie. Der Landesbasisfallwert soll die Kostenentwicklung im stationären Vergütungssystem berücksichtigen. Aber das tut er nicht. Deshalb sind meine beiden Forderungen plausibel und gerechtfertigt.
Sie dürften auch den Kommunen aus der Seele gesprochen haben. Weil die Städte und Gemeinden ihre Kliniken seit Jahren finanziell unterstützen müssen, hatten sie im Sommer mehr Geld von der Politik gefordert. Sie seien es leid, die Zeche für die säumigen Schuldner Bund und Land zu zahlen. Worauf dürfen die Kommunen hoffen?
Das kann ich Ihnen momentan nicht sagen. Der Knackpunkt ist, dass wir bei der Krankenhausreform im Verzug sind. Es ist nicht klar, wie die Kofinanzierung des Transformationsfonds aussehen wird. Die Länder müssen sich daran beteiligen und wir sind auch dazu bereit. In unserer Haushaltsdebatte wird dieser Posten mitgeführt. Aber es hakt an der Höhe der Beteiligung. Es gibt noch keine Einigung zwischen dem Land und den Kommunen, die Mittel aus dem Kommunalen Investitionsfonds beisteuern müssten. Die Kommunen wollen eine höhere Investitionskostenförderung für ihre Kliniken, und gleichzeitig sollen sie sich finanziell an der Krankenhausreform beteiligen. Momentan ist die Stimmung frostig.
Ist denn Land in Sicht?
Wir müssen noch ein paar Kühe vom Eis kriegen. Aber die Transaktionskomponente des Bundes könnte in meinen Augen ein Lösungsansatz zur Investitionskostenförderung sein. Dafür werde ich mich in der Haushaltsdebatte starkmachen.
Das müssen Sie erklären.
Über die Transaktionskomponente können Investitionen gefördert werden, ohne die Schuldenbremse zu lockern. Wir könnten landeseigenen Gesellschaften wie den Universitätskliniken Darlehen für Investitionen zur Verfügung stellen, die mit einer sehr langen Laufzeit zurückgezahlt werden. Im Schienenverkehr kommt die Transaktionskomponente schon zum Zuge.
Beim Land ist in Sachen Transformationsfonds also alles in der Schwebe. Wir haben dagegen Klarheit. Denn der Bundesgesundheitsminister will den Anteil des Bundes am Transformationsfonds nicht aus Steuergeldern, sondern aus dem Gesundheitsfonds zuschießen. Das lehnen die Krankenkassen ab und der Bundesrechnungshof hat unsere Auffassung bestätigt. Wie ist ihre Meinung?
Ich bin kein Fan von Lauterbachs Plan. Es ist nicht die Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), die Klinikreform zu finanzieren. In Deutschland zahlen Millionen Menschen nicht in die GKV ein. Aber sie würden von der Umstrukturierung ebenso profitieren wie die Beitragszahler. Das ist nicht gerecht, und das ist auch keine duale Finanzierung. Wenn die Kassen an der Reform finanziell beteiligt werden, dann müssen sie auch mitbestimmen können. Aber das ist nicht der Fall.
Manne Lucha will ein Mitspracherecht bei den einheitlichen Qualitätsvorgaben, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vorgeben wird. Was hat der Minister dagegen, wenn die Behandlung in den Kliniken besser wird?
Ich muss nicht immer die Meinung unseres Ministers teilen. Ich bin definitiv pro Qualitätsvorgaben. Ich weiß aber auch, dass es Druck vonseiten der Krankenhäuser gibt. Ich habe mir die Schulthess Klinik in Zürich angesehen. Das ist eines der führenden orthopädischen Krankenhäuser in Europa. In der Schweiz haben die Kantone Leistungsgruppen entwickelt und die Kliniken müssen sich bei ihrem Kanton um diese bewerben. Obwohl die Behandlungsqualität in der Schulthess Klinik top ist, hatte das Haus Probleme, den Zuschlag für die Wirbelsäulenchirurgie zu bekommen. Und das ist auch die Sorge von Manne Lucha: Dass Klinken in Baden-Württemberg leer ausgehen, obwohl sie gute Arbeit leisten. Wenn der Outcome eines Krankenhauses überdurchschnittlich gut ist, dann sollten wir im Land die Möglichkeit haben, von den Vorgaben des G-BA abweichen zu dürfen.
Die Krankenhausreform hätte viele Vorteile. Finanzielle Entlastung des Landes und der Kommunen, eine bessere Behandlungsqualität durch Spezialisierung und weniger Fachkräftemangel. Trotzdem hat es den Anschein, dass bei den Beteiligten nicht wirklich ein Wille zur Veränderung vorhanden ist. Frei nach dem Motto: Krankenhausreform? Gerne! So lange wir nichts machen müssen.
Es gibt Player, die sagen: Mir geht es gut, deshalb will ich nichts am bestehenden System verändern. Es gibt aber auch die anderen. Die sehen, dass dringend etwas getan werden muss. Ich denke, dass wir alle unsere Komfortzone verlassen müssen. Ich komme noch einmal auf die Schulthess Klinik zurück. Dort können Hüftoperationen ambulant vorgenommen werden. Aber die Patientinnen und Patienten wollen das nicht. Wenn das Haus nach dem Grundsatz 'ambulant vor stationär' handelt, dann zahlt es drauf. Weil Betten abgebaut und eine Infrastruktur für ambulante Eingriffe vorgehalten wird, die dann doch stationär durchgeführt werden müssen. Dasselbe sagen mir Klinikbetreiber in Baden-Württemberg. Die Krankenkassen sollten bereit sein, für einen ambulanten Eingriff einen Bonus zu bezahlen. Vieles ist medizinische möglich und könnte besser gemacht werden, aber wir sind zu zögerlich. Wir brauchen einen Kulturwandel auf allen Ebenen. Und den muss die Politik begleiten.
Karl Lauterbach will den Kliniken eine Vorhaltepauschale bezahlen, die sie auch bekommen, wenn sie weniger Behandlungen durchführen. Einige befürchten, dass es dadurch zu einer künstlich herbeigeführten Unterversorgung kommt. Wie will die Politik hier begleiten und dieser Unterversorgung vorbeugen
Lauterbachs Finanzierungsplan ist noch nicht ausgereift. Es gibt Vorschläge seitens des InEK, aber die sind noch immer fallzahlenabhängig. Da erkenne ich keine echte Vorhaltevergütung. Und damit animieren wir die Kliniken doch wieder, Eingriffe vorzunehmen, die medizinisch nicht notwendig sind. Das ist die Gefahr, die ich momentan sehe. Und nicht die einer künstlichen Unterversorgung.
Wie beurteilen Sie denn die Reform der Notfallversorgung? Immerhin soll die jetzt auf die Krankenhausreform abgestimmt werden.
Das ist absolut sinnvoll. Die Frage ist nur, wie wir die Ressourcen bestmöglich einsetzen? Meiner Meinung nach müssen wir nicht überall rund um die Uhr einen ärztlichen Bereitschaftsdienst und eine Notaufnahme vorhalten. Wozu soll das gut sein, wenn das die Fallzahlen in einer Region gar nicht hergeben? Das müssten wir flexibel handhaben können. Aber die Ärztinnen und Ärzte sagen mir, dass es dafür keinen Spielraum gibt. Hier sind wir Politiker gefragt. Wir tun uns keinen Gefallen mit zu strikten Vorgaben. In Zürich gibt es medizinische Erstanlaufstellen, in denen Krankenschwestern als Lotsen fungieren und die Patienten steuern. Das Kanton bezahlt aber eine ärztliche Behandlung und jeder Fall wird im Nachgang noch einmal ärztlich geprüft. Dieses System schont Ressourcen, trotzdem bekommt jeder die Behandlung, die notwendig ist. Vielleicht sollten wir das auch ausprobieren?
Sie haben offenbar ein Faible für die Schweiz. Ich frage mich nur, wo bei uns die Pflegekräfte für diesen Job herkommen sollen?
Das habe ich mich auch gefragt. Aber die Schweizer sagten mir, dass Problem sei nicht der Mangel an neuen Fachkräften. Das Problem sei, dass zu viele Pflegekräfte dem System den Rücken zukehren, weil sie den Job nicht mehr machen könnten. Die wären verloren. Aber als medizinische Lotsen oder als Schulkrankenschwestern bleiben sie dem Gesundheitswesen erhalten.
Ich weiß nicht, wie die Krankenhausrechnungsprüfung in der Schweiz abläuft, aber in Deutschland sollen die Kassen in Zukunft nur noch stichprobenartig prüfen dürfen. Bei der Vorstellung muss doch ihr AOK-Herz bluten?
Ich bin ein Fan von der Einzelfallprüfung, ist doch klar! Wenn die nicht mehr gestattet ist, dann sollten wir dem neuen System eine Chance geben und es testen. Dabei wird es ganz entscheidend auf die Stichprobe ankommen.
Wie meinen Sie das?
Zum einen kommt es auf die Größe an. Darf ich nur eine von 100 Klinikrechnungen prüfen, oder 50? Und die Krankenkassen müssen entscheiden können, welche Rechnung sie unter die Lupe nehmen. Nicht die Krankenhäuser.
Aber es ist doch logisch, dass die Kassen die zu prüfenden Rechnungen auswählen müssen und nicht die Kliniken. Anders herum ist es doch sinnbefreit.
Klar. Aber damit es auch so gemacht und nicht anders ausgelegt wird, müssen wir das ganz penibel im Gesetz regeln. Das ist Politik.