Die Barmer hat gesundheitspolitisch Stellung bezogen. Neben der Digitalisierung des Gesundheitswesens und einer sektorübergreifenden Versorgung fordert Deutschlands zweitgrößte Krankenkasse vor allem eine Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA).
Kassen in strukturschwachen Regionen sind im Vorteil
Der Morbi-RSA ist das wichtigste Steuerungsinstrument im Finanzverteilungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung. „Doch in seiner jetzigen Ausgestaltung führt er dazu, dass die Schere zwischen den unterschiedlichen Kassenarten immer weiter auseinander geht“, sagt Barmer Landesgeschäftsführer Winfried Plötze. Welche Kasse wie viel Geld erhält, wird bundeseinheitlich über den Morbi-RSA ermittelt. Zuteilungsgrundlage sind die Durchschnittskosten für ganz Deutschland, regionale Unterschiede in der Kosten- und Versorgungsstruktur werden bei der Zuweisung nicht berücksichtigt. Plötze: „In Ballungszentren werden aber mehr Leistungen verordnet und in Anspruch genommen als auf dem Land. Das führt dazu, dass Kassen in strukturschwachen Regionen hohe Rücklagen aufbauen können, die anderen sind durch eine rasch zunehmende Unterdeckung benachteiligt, die sich auch nicht durch gutes Wirtschaften kompensieren lässt. Hier schlägt die Region das Management.“
Versorgungsstrukturkomponente und Hochrisikopool
Die Barmer fordert deshalb, dass dauerhafte und durch die Kassen nicht beeinflussbare Ausgabenunterschiede, die der Struktur geschuldet sind, in Zukunft durch eine Versorgungskomponente ausgeglichen werden. „Darüber hinaus sollte ein Hochrisikopool eingerichtet werden, der die Kosten für Patienten mit besonders seltenen und teuren Krankheiten ausgleicht.“
In digitale Vernetzung investieren
Die Digitalisierung ist längst im Alltag der Menschen angekommen. Im Gesundheitswesen muss man die Chancen der Digitalisierung für die Verbesserung von Diagnostik und Therapie nutzen. Grundlage dafür ist eine flächendeckende Telematikinfrastruktur, die zügig ausgebaut werden muss und eine elektronische Patientenakte mit einheitlichen Standards. „Es sollte auch kein generelles Fernbehandlungsverbot ohne vorherigen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt geben“, sagt Plötze und lobt das Modellprojekt der Landesärztekammer Baden-Württemberg. „Kontraproduktiv ist allerdings das Verordnungsverbot von Arzneimitteln im Rahmen einer Fernbehandlung.“
Gut zusammenarbeiten
Eine gute medizinische Versorgung kann gelingen, wenn Arztpraxen und Kliniken Hand in Hand arbeiten. Bislang wird die Versorgungsplanung aber getrennt durchgeführt: Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt die ambulante Bedarfsplanung, für die Krankenhausplanung sind die Bundesländer zuständig. Es droht Unterversorgung in ländlichen und strukturschwachen Regionen und Überversorgung in Ballungsgebieten. Der Bedarf an medizinischen Leistungen muss deshalb sektorübergreifend durch Vertreter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, der Krankenhäuser und der Krankenkassen geplant werden.
Gleiches Geld für gleiche Leistungen
20 ambulante Behandlungen können auch im Krankenhaus durchgeführt werden. Doch je nach Sektor wird ein und dieselbe Maßnahme unterschiedlich vergütet. Im ambulanten Bereich erfolgt die Vergütung auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes im Rahmen des KV-Budgets, in der Klinik erfolgt die Abrechnung innerhalb des DRG-Systems. „Um Fehlanreize der sektorbezogenen Vergütung zu vermeiden, empfiehlt sich eine Vereinheitlichung der Vergütungssysteme“, so Winfried Plötze. „Dazu sollten indikationsbezogene Behandlungspauschalen entwickelt werden, für die Indikationen berücksichtigt werden, für die es klar definierte Behandlungspfade gibt. Die Barmer fordert das gleiche Geld für die gleiche Leistung.“
Vernetzung der Leistungserbringer
Um eine qualitativ hochwertige, bedarfsgerechte und wirtschaftliche medizinische Versorgung sicherzustellen, sollten sich die Leistungserbringer in „Regionalen Versorgungsverbünden“ zusammenschließen. Initiiert werden muss dieser Zusammenschluss von Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenhäusern und Krankenkassen. „Ausgangspunkt ist der regionale Versorgungsbedarf. Es wird ermittelt, was an ambulanten und stationären Leistungen je Fachgebiet notwendig ist. Danach wird festgelegt, welche Anbieter zur Leistungserbringung berechtigt werden sollen. In unsern Augen sind diese Versorgungsverbünde eine gute Antwort auf die stetige Forderung nach einer besseren Vernetzung im Gesundheitswesen.“
Änderung der Kassenaufsicht
Notwendig ist auch eine Neuordnung der Kassenaufsicht. Die Kontrolle der bundesweiten Kassen durch das BVA und die Überprüfung der regionalen Kassen durch die jeweilige Landesaufsicht führt zu wettbewerblichen Verwerfungen. Etwa durch unterschiedliche Auffassungen bei der Bewertung von Selektivverträgen und der Genehmigung von Wahltarifen. Stattdessen sollte die Aufsicht über die gesetzlichen Krankenkassen für alle Belange des Haushalts und der Finanzen auf Bundesebene liegen, die Aufsicht über die Versorgungsverträge der Kassen sollten die Länder übernehmen.