57,3 Prozent der baden-württembergischen Jungen und Mädchen wurden laut Barmer-Zahnreport innerhalb eines Jahres kieferorthopädisch behandelt. Damit erhielten bei uns mehr Kinder eine Zahnspange als im Bundesdurchschnitt. Für die Auswertung wurden die Barmer-Daten von bundesweit mehr als 50.000 Jungen und Mädchen des Jahrgangs 2005 über einen Zeitraum von zehn Jahren betrachtet. Darunter waren fast 4.800 Kinder aus Baden-Württemberg.
"Bei unserer Analyse fallen zwei Dinge auf. Erstens: In ganz Deutschland werden Mädchen durchweg häufiger kieferorthopädisch behandelt als Jungen. Wir sehen einen Unterschied von etwa zehn Prozentpunkten, der sich durch alle Bundesländer zieht. Zweitens: Im Süden Deutschlands erhalten die Kinder häufiger eine Zahnspange als im Norden", sagt Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg. Rein medizinisch ließen sich diese Unterschiede nicht erklären. "Es ist doch mehr als unwahrscheinlich, dass Mädchen grundsätzlich häufiger als Jungen und die Kinder in Baden-Württemberg und Bayern häufiger eine Zahnfehlstellung haben als die Lütten in Bremen und Niedersachsen." Den größten Anteil kieferorthopädisch behandelter Kinder und Jugendlicher gebe es laut Zahnreport in Bayern mit 59,7 Prozent, gefolgt von Baden-Württemberg. Die niedrigsten Raten weisen Bremen (45,9 Prozent) und Niedersachsen (47,5 Prozent) aus. Ursächlich könnten Unterschiede bei der Bewertung einer Behandlungsbedürftigkeit nach den Kriterien der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Aber auch ein Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage komme in Betracht.
Schönheitsideal und übertriebene Fürsorge
In Baden-Württemberg wurden 63 Prozent der Mädchen und 52 Prozent der Jungen kieferorthopädisch behandelt. "Der Report betreibt keine Ursachenforschung. Allerdings gibt es Hypothesen, weshalb Mädchen häufiger eine Zahnspange erhalten als Buben. Denkbar ist, dass sie ein höheres Eigeninteresse haben könnten. Möglicherweise angetrieben vom Wunsch, besser auszusehen und einem Schönheitsideal zu entsprechen. Auch übertriebene elterliche Fürsorge gegenüber ihren Töchtern kommt in Betracht. Jungen treten dagegen eine Therapie häufiger nicht an oder brechen sie vorzeitig ab, obwohl bei ihnen eine Zahnfehlstellung festgestellt wurde, die behandelt werden sollte", sagt Winfried Plötze.
Viel Kieferorthopädie im Landkreis Ludwigsburg
Auch innerhalb Baden-Württembergs variiert die Inanspruchnahme von kieferorthopädischen Behandlungen. Die höchste Rate gab es demnach mit 59,7 Prozent im Landkreis Ludwigsburg, die geringste in Heilbronn (52,2 Prozent). "Die Facharztdichte können wir als Ursache für die unterschiedliche Inanspruchnahme in den Stadt- und Landkreisen ausschließen. Die Autoren des Zahnreports konnten keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Kieferorthopädinnen und -orthopäden und der Behandlungsrate nachweisen." Zumal die Zahnarztpraxen die kieferorthopädische Behandlung übernehmen würden, wenn keine Facharztpraxis vor Ort sei. "Insgesamt ist der Zugang zur kieferorthopädischen Versorgung in Baden-Württemberg zufriedenstellend. Auf 10.000 Jugendliche unter 18 Jahre entfallen 2,6 Fachzahnärztinnen und –ärzte. Das entspricht auch dem Bundesdurchschnitt", so Plötze.
Zahnfehlstellungen sind mehr als ein Schönheitsfehler
Die Kieferorthopädie bewegt sich häufig im Spannungsfeld zwischen medizinischer Indikation und dem Wunsch nach ästhetischer Optimierung. Fakt ist aber, dass eine Zahnfehlstellung mehr ist als ein Schönheitsfehler. Sie kann die Zahnpflege erschweren und dadurch die Zahngesundheit verschlechtern. Das Sprechen und das Atmen können erschwert werden, außerdem können Ohrgeräusche, Schwindel, Kopf- und Nackenschmerzen die Folge einer Zahnfehlstellung sein. Eine rechtzeitige kieferorthopädische Behandlung kann dazu beitragen, später notwendige und möglicherweise teure zahnärztliche oder chirurgische Eingriffe zu vermeiden. Somit ist die Kieferorthopädie ein wichtiger Teil der medizinischen Versorgung, die erheblich zur Gesundheit und zur Lebensqualität der Menschen beitragen kann.