Mannheim, 16. Mai 2019 - Laut aktuellem Barmer-Arztreport erhielten im Jahr 2017 1,1 Millionen Menschen in Deutschland die Diagnose Reizdarmsyndrom. Am häufigsten wurde die Krankheit in Baden-Württemberg und im Saarland festgestellt. Laut der Studie der Krankenkasse leiden mehr als 168.000 Baden-Württemberger dauerhaft an Symptomen wie Durchfall, Blähungen, Krämpfen und Verstopfung, das sind etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung. Damit liegt die Betroffenenquote in Baden-Württemberg gut 14 Prozent über dem bundesweit ermittelten Wert, und ist dennoch wohl nur die Spitze des Eisberges.
"Studien gehen davon aus, dass bis zu 16 Prozent der Erwachsenen in Deutschland vom Reizdarmsyndrom betroffen sein könnten. Das wären dann mehr als 1,7 Millionen Baden-Württemberger. Dass unser Arztreport eine wesentlich niedrigere Diagnoserate ausweist, kann verschiedene Gründe haben. Möglicher Weise gehen viele Betroffene nicht zum Arzt, weil sie Symptome wie Durchfall und Blähungen als intim und beschämend empfinden. Es kann aber auch sein, dass Ärzte statt der Diagnose Reizdarmsyndrom nur einzelne Symptome erfassen", sagt der Landesgeschäftsführer der Barmer Baden-Württemberg, Winfried Plötze, bei der Vorstellung des Arztreports in Mannheim. Innerhalb Baden-Württembergs reiche die Betroffenenquote beim Reizdarmsyndrom von 0,95 Prozent im Schwarzwald-Baar-Kreis bis zu 2,36 Prozent in Karlsruhe. In der Fächerstadt liege die Rate 76 Prozent, in Mannheim 69 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Laut Barmer-Arztreport leiden mehr als 6.900 Mannheimer an einem Reizdarmsyndrom. Bundesweit kämen jährlich 285.000 Neuerkrankungen hinzu.
Immer mehr junge Menschen leiden am Reizdarmsyndrom
Anhaltende Bauch- und Unterleibschmerzen, Krämpfe, Verstopfung oder Durchfall mit insgesamt veränderten Stuhl über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten, das sind die Symptome eines Reizdarmsyndroms. Am häufigsten wurde diese Diagnose im Jahr 2017 bei den 75- bis 80-Jährigen gestellt, doch laut Barmer-Arztreport sind immer mehr junge Menschen unter den Patienten. So sei die Diagnoserate in der Altersklasse der 23- bis 27-Jährigen von 2005 bis 2017 um 70 Prozent gestiegen. Plötze: "Dieser Zuwachs gibt umso mehr zu denken, da junge Menschen vergleichsweise gesund sind und deshalb seltener zum Arzt gehen."
Langer Weg bis zur Diagnose
Da Beschwerden wie Durchfall und Krämpfe viele Auslöser haben können, erfolgt die Diagnose des Reizdarmsyndroms nach dem Ausschlussprinzip. Nicht selten dauert es Jahre, bis der Befund feststeht. "Falsche Diagnostik und Übertherapie sind beim Reizdarmsyndrom keine Seltenheit. Vielen Patienten liegen unzählige Laborwerte und Untersuchungsergebnisse vor, mit denen sie aber nichts anfangen können und die vor allem nicht den Auslöser ihrer Beschwerden erklären", sagt der Mannheimer Mediziner Dr. Thomas Weiß, der in seiner Praxis seit Jahren Reizdarmpatienten behandelt.
Ursache des Reizdarmsyndroms ist unklar
Was genau ein Reizdarmsyndrom auslöst, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Eine familiäre Vorbelastung kommt ebenso in Betracht wie bestimmte psychische Störungen und infektiöse Darmerkrankungen. Viele Betroffene schreiben ihre Beschwerden der Nahrung zu. Studien, die diesen Zusammenhang belegen, gibt es aber nicht.
Begleiterkrankungen sind keine Seltenheit
Bei der Vielzahl der Beschwerden und möglichen Ursachen sollte die Behandlung des Reizdarmsyndroms ganzheitlich erfolgen. Zumal die Patienten häufig Begleiterkrankungen haben. Mehr als die Hälfte leidet laut Barmer-Arztreport unter Rückenschmerzen (53,6 Prozent), 73 Prozent haben psychische Beschwerden. Einfach eine Tablette nehmen, wie die Werbung suggeriert, hilft nicht. Weiß: "Ein Reizdarmsyndrom nur somatisch zu behandeln, ist zu kurz gesprungen, denn hier ist nicht nur der Darm erkrankt. Die Therapie muss einen ganzheitlichen Blick auf den Körper werfen, der die Psyche ebenso mit einbezieht wie die Themen Ernährung und Bewegung. Mit das Wichtigste ist, die Patienten zu beruhigen. Denn viele sind so auf ihre Krankheit fixiert, dass sich die Symptome dadurch verstärken."
Was Betroffene tun können
Das Reizdarmsyndrom hat viele Ausprägungen. Einige Patienten haben eine milde Form, mit der sie ohne Behandlung zurechtkommen. Andere aber haben so starke Beschwerden, dass ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt wird. Stress gilt zwar nicht als Auslöser des Reizdarmsyndroms, er kann aber die Beschwerden verschlimmern. Betroffene sollten deshalb erkennen, welche Situationen als stressig empfunden werden und ob sich diese ändern lassen. Eine Ernährungsumstellung ist beim Reizdarmsyndrom angezeigt, sie sollte aber unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Das Führen eines Ernährungstagebuchs kann dabei helfen, eventuellen Überempfindlichkeiten auf die Spur zu kommen.
Datengrundlage
Für die Auswertungen konnte auf anonymisierte Daten der Barmer aus den Jahren von 2005 bis 2017 zu jeweils mehr als acht Millionen Versicherten zurückgegriffen werden. Diagnosen werden in den Daten bei Krankenkassen nahezu ausschließlich in Form von Schlüsseln der ICD-10-Klassifikation erfasst. Sie bilden aufgrund ihrer Differenzierungsmöglichkeiten eine wesentliche Grundlage für alle erkrankungsbezogenen Auswertungen. In der ICD-10 wird das Reizdarmsyndrom (RDS) zumeist mit dem Schlüssel K58 "Reizdarmsyndrom" dokumentiert, wobei zwischen einem "Reizdarmsyndrom mit Diarrhoe" (K58.0) und einem "Reizdarmsyndrom ohne Diarrhoe" (K58.9) unterschieden werden kann. Zudem kann das RDS mit dem Schlüssel F45.32 "Somatoforme autonome Funktionsstörung, unteres Verdauungssystem" erfasst werden. Berücksichtigt wurden dabei sowohl Diagnosen aus der ambulant-ärztlichen Versorgung als auch Diagnosen zu ambulanten und stationären Behandlungen in Krankenhäusern, wobei ambulante Diagnosen nur dann berücksichtigt wurden, wenn sie als gesichert gekennzeichnet waren. Die Ergebnisse wurden hochgerechnet und nach Geschlecht, Alter und Wohnort standardisiert, womit eine weitgehende Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Bevölkerung in Deutschland gewährleistet sein sollte.
Diagnose Reizdarmsyndrom: Kreise in Baden-Württemberg mit den höchsten Diagnoseraten im Jahr 2017
Stadt-/Landkreis | Betroffenenrate | Abweichung vom Bundesdurchschnitt | Betroffene absolut |
---|---|---|---|
1. Karlsruhe (S) | 2,36 Prozent | + 76 Prozent | 7.263 |
2. Hohenlohekreis | 2,30 Prozent | + 71 Prozent | 2.534 |
3. Freudenstadt | 2,30 Prozent | + 71 Prozent | 6.911 |
4. Mannheim | 2,26 Prozent | + 69 Prozent | 6.911 |
5. Göppingen | 1,92 Prozent | + 44 Prozent | 4.853 |
Diagnose Reizdarmsyndrom: Kreise in Baden-Württemberg mit den niedrigsten Diagnoseraten
Stadt-/Landkreis | Betroffenenrate | Abweichung vom Bundesdurchschnitt | Betroffene absolut |
---|---|---|---|
Neckar-Odenwald-Kreis | 1,17 Prozent | - 13 Prozent | 1.472 |
Main-Tauber-Kreis | 1,03 Prozent | - 23 Prozent | 1.361 |
42. Heidenheim | 0,96 Prozent | - 28 Prozent | 1.253 |
43. Schwäbisch Hall | 0,96 Prozent | - 28 Prozent | 1.839 |
44. Schwarzwald-Baar-Kreis | 0,95 Prozent | - 29 Prozent | 1.992 |