Stuttgart, 4. Juni 2018 - Jeder vierte junge Erwachsene in Baden-Württemberg leidet unter einer psychischen Erkrankung, zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Arztreport der Barmer. Demnach wurden im Jahr 2016 fast 26 Prozent der 18- bis 25-Jährigen wegen einer psychischen Störung ärztlich behandelt, das entspricht 275.241 betroffenen Personen (Bund: 1,9 Mio.). Insbesondere Depressionen machen den jungen Baden-Württembergern zu schaffen, bei fast 8 Prozent der 18- bis 25-Jährigen wurde im Jahr 2016 eine Depression diagnostiziert. Das entspricht 84.603 betroffenen Personen. Die Diagnoserate ist innerhalb von zehn Jahren um 79 Prozent gestiegen. Damit liegen die baden-württembergischen Ergebnisse über den bundesweit ermittelten Werten. Hier wurde bei 7,59 Prozent der jungen Erwachsenen eine Depression diagnostiziert (556.723 Betroffene), die Steigerungsrate liegt bei 76 Prozent. Auch somatoforme Störungen, also körperliche Beschwerden, für die keine organische Ursache gefunden wird, und Essstörungen treten im Südwesten etwas häufiger auf als im Bundesdurchschnitt. "Die hohe Zahl junger Erwachsener mit psychischen Erkrankungen zeigt, dass wir verstärkt auf Präventionsangebote setzen müssen. Zumal wir davon ausgehen, dass die Dunkelziffer weitaus höher ist. Denn nicht jeder junge Mensch mit psychischen Problemen sucht ärztliche Hilfe, sagt Barmer Landesgeschäftsführer Winfried Plötze.
Viele Betroffene gehen nicht zum Arzt
Diese Einschätzung teilt Dr. David Daniel Ebert, Psychologe und Leiter der Forschungseinheit eMental Health am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Friedrich-Alexander Universität Erlangen Nürnberg (FAU): "57 Prozent der Menschen mit psychischen Beschwerden suchen keinen Arzt auf. Der Hauptgrund dafür ist, dass viele Betroffene glauben, dass sie das Problem selbst in den Griff bekommen."
Online-Angebote können helfen
So vergehen im Schnitt acht bis zehn Jahre, bis sich psychisch Kranke in ärztliche Behandlung begeben. Über Online-Angebote zur Prävention und Behandlung von psychischen Beschwerden könnten Betroffene wesentlich früher erreicht werden. Sie vermitteln effektive Strategien, um leichte Beschwerden zunächst vorwiegend selbstständig bewältigen zu können. Zudem können E-Trainings als ergänzendes Angebot zur Psychotherapie und zur Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz genutzt werden, wenn die Beschwerden noch nicht stark ausgeprägt sind. Deshalb bietet die Barmer seit Juli 2015 die PRO MIND Online-Trainings an, die bisher von 2.700 Barmer-Versicherten genutzt wurden. "Wir sehen ganz deutlich, dass sich die Lebensqualität der Teilnehmer verbessert. Und wir erreichen mit Online-Angeboten Menschen, die sich ansonsten gar keine Hilfe holen würden", so Ebert, der 15 Internet-basierte Gesundheitsinterventionen entwickelt hat, darunter PRO MIND und StudiCare.
61.000 Studierende in Baden-Württemberg haben psychische Probleme
Explizit an Studierende richtet sich das Online-Angebot StudiCare, das von der Barmer gefördert und von der FAU geleitet wird. "Studierende galten bislang als weitgehend gesunde Gruppe. Unsere Auswertungen zeigen aber, dass alleine in Baden-Württemberg 61.000 Studentinnen und Studenten von einer psychischen Erkrankung betroffen sind", so Winfried Plötze. Die Probleme können so groß werden, dass der normale Studentenalltag nicht mehr zu bewältigen ist, es zu Studienabbrüchen und existenziellen Krisen kommen kann. Plötze: "Damit es nicht so weit kommt, braucht es solche niederschwelligen Angebote, die unkompliziert und frühzeitig helfen. Auf diesem Weg wollen wir das Stressmanagement und die Resilienz der jungen Akademiker fördern."
Mehr als zehn Prozent der jungen Mannheimer sind depressiv
Für den Barmer-Arztreport wurde auch erhoben, wie viele junge Erwachsene in den baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen von einer Depression betroffen sind. Demnach ist die Diagnoserate in allen Kreisen innerhalb von zehn Jahren gestiegen. In Mannheim wurde im Jahr 2016 bei 10,2 Prozent der 18- bis 25-Jährigen eine Depression ärztlich dokumentiert, zehn Jahre zuvor lag die Diagnoserate bei sieben Prozent. Der Landkreis Biberach weist die niedrigste Betroffenenquote aber ebenfalls einen Anstieg aus: von 3,8 Prozent im Jahr 2006 auf 5,1 Prozent im Jahr 2016.